Seite:Graesse Sagenschatz Sachsens II 211.jpg

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den sie für ihren Bräutigam gehalten, sich mit der Tochter des Rathsherrn Lorenz Heuner verlobt habe. Ein furchtbarer Kampf entstand in ihrem Innern, Natur und Gewissen geboten ihr Liebe zu dem neuen Leben, doch mächtig kämpfte dagegen der Gedanke an den gänzlichen Verlust ihrer Ehre vor der Welt, an den Spott ihrer neidischen Feindinnen, an den Hohn derer, die sie früher zurückgewiesen hatte, an den Gram ihrer Eltern und – siegte: denn als das Kind sich ihrem Schooße entwunden hatte, da legte sie, – freilich mit zitternder Hand und weinenden Augen – die Hand an zum grausamen Kindesmorde.

Bald wurde diese Frevelthat entdeckt und die schöne Sünderin in die Stadt gebracht. Zu jener Zeit, im Jahre 1573, regierte der Bürgermeister Nicolaus von Dornspach, ein Mann von ausgezeichneten Talenten und einem Character, bei dem die guten und schlechten Seiten gleich stark hervortreten. Wie er sich in vieler Hinsicht um Zittau ein unsterbliches Verdienst erwarb, so hat er sich auch bei Vielen verhaßt und verächtlich gemacht durch seinen stolzen, unbegrenzten Herrschersinn, und daß dieser sogar bis zur rücksichtslosen Grausamkeit gesteigert werden konnte, dazu wird unsere Erzählung einen Beleg liefern. Denn schnell und eigenmächtig verurtheilte er die unglückliche Margarethe zu einem Tode, der mit dem gräßlichsten Schrecken umlagert ist, und seit einem halben Jahrhundert im ganzen übrigen Deutschland selbst über den größten Verbrecher nicht mehr verhängt wurde. Ohne den Trost der Religion auf dem schweren Wege aus Priesters Munde zu empfangen, wurde sie am 1. August 1573 unweit der Begräbnißkirche zu Unserer lieben Frauen lebendig begraben und ihr, um eine Grausamkeit mit einer noch größern zu überbieten, ein Pfahl durch’s Herz geschlagen[1]. Ihre Mutter wurde, weil sie ihr Kind nicht verrathen hatte,


  1. Nach May, Leben Dornspach’s S. 25 wäre das Bild eines Landmädchens an der Kirchhofsmauer zu Zittau zum Andenken an sie dort angebracht. S. aber Sage Nr. 818.
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Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 2. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_II_211.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)