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nicht noch einmal unerwartet über Euch komme und Euch ganz vernichte.“


823) Der gespenstige Lautemann zu Zittau.
Willkomm a. a. O. Bd. I. S. 260. sq.

Zu der Zeit, als noch die Johanniskirche zu Zittau stand, ließ sich zuweilen ein Franciscanermönch im Glockenstuhl des Thurmes sehen, griff an den Strick, als wolle er die sogenannte Bürger- oder Bierglocke, die Abends um 9 Uhr geläutet ward, ziehen, legte aber jedes Mal seine Kutte zuvor ab, als hindere ihn diese bei seinem Geschäfte. Diese Gelegenheit paßte nun einmal der wirkliche Lautemann ab: während er den Mönch mit dem Stricke beschäftigt sah, nahm er ihm seine abgelegte braune, etwas schadhaft gewordene Mönchskutte, knöpfte sie sich unter den Rock, und ging höhnisch lachend, als er sah, wie der halbnackte Mönch mit wahrer Seelenangst nach derselben suchte, nach Hause. Am nächsten Abend knöpfte er die Kutte wieder unter seinen Rock und ging wohlgemuth, nur etwas früher als sonst, nach der Kirche. Allein sein Muth fiel gewaltig, als er schon von Weitem die dürre Gestalt des Mönchs erblickte, wie sie die Hande rang und die leidenschaftlichsten Geberden machte. Froh, daß ihn der Weg nicht gerade an dem kuttenlosen Geiste vorüberführte, eilte er in den Thurm, läutete und schlich sich eben so wieder nach Hause, ohne daß ihn die Gestalt verfolgte. Es schien, als sei sie in bestimmte Grenzen gebannt, die sie nicht überschreiten dürfe. Seit diesem Abend sah der Lautemann den Mönch alle Tage immer dieselben flehenden, aber heftigen Gebehrden gegen ihn machen, allein so unwohl ihm bei diesem Anblicke wurde, die Rückgabe der Kutte wagte er nicht, aus Furcht, der geneckte Geist möge keinen Spaß verstehen und ihm vielleicht gar den Hals brechen. So blieb nun die geisterhafte Mönchskutte im Besitze des Lautemanns bis zu dessen Tode, der freilich schon ein Jahr nach dem freventlich verübten Raube erfolgte. Denn war

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Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 2. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_II_217.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)