Seite:Graesse Sagenschatz Sachsens II 237.jpg

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Sobald die Sonne ihren höchsten Stand eingenommen, säumte der Bauer nicht, nach dem bezeichneten Ort zu gehen. Zu seinem großen Erstaunen fand er einen Tisch gedeckt, und darauf lag ein wohlgerathener Kuchen. Noch ehe sich der Bauer niedersetzte, vernahm er deutlich die Worte: „nun iß den Kuchen, doch anschneiden darfst Du ihn nicht!“ Da ward ihm ganz eigen zu Muthe, und fast hätte er den Kuchen ungegessen gelassen und würde davon gegangen sein, wenn er nicht endlich von Ungefähr auf den Gedanken gekommen wäre, den Kuchen rundum auszuschneiden. Außerordentlich mundete ihm das Gebäck, und als er satt war, sagte er den Geistern seinen Dank, stand auf und wollte wieder an seine Arbeit gehen; allein kaum war er einen Schritt fortgegangen, so rief eine Stimme ihm die Worte nach: „der Teufel hat Dich klug gemacht. Hüte Dich, daß wir nicht auch an Dir thun, was Du an unserem Kuchen gethan hast!“ Nach Jahren fand man einen Leichnam unten am Stromberge im Blute liegen. Die Brust war aufgeschlitzt und das Herz zerfleischt. Dieser Unglückliche aber war jener Bauer, der den Kuchen ausgeschnitten hatte.

III. Ein reisender Cavalier aus Flandern kam auf seiner Reise nach Polen in die Gegend des Stromberges. Seine Liebe zu Abenteuern kam seinem Muthe vollkommen gleich, und darum entschloß er sich, sogleich zur Nachtzeit das Schloß des Berges mit dem Schwerte in der Hand zu besuchen, als er die Kunde vernommen hatte, daß da übermenschliche Geister ihr Wesen trieben. Der Vollmond mit seinen milchweißen Strahlen übergoß zauberisch die alten Schloßruinen und der Cavalier trat zu den Mauern der Burg. Alles war still und offen stand ein kleines Pförtchen. Der Held schritt da hinein und kam in eine weite Halle, in deren Mitte eine mit Gold und Edelsteinen gefüllte Braupfanne und ein langer eiserner Kasten stand. Ein Augenblick genügte, und die Halle hatte sich mit einer Schaar grauer Männchen gefüllt. Der Cavalier stand staunend an einem Pfeiler und wußte nicht, ob er seinen Augen trauen

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Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 2. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_II_237.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)