Seite:Graesse Sagenschatz Sachsens II 271.jpg

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manchmal auch zu andern Zeiten in der Mitternachtsstunde eine bleiche abgehärmte Gestalt voller Blut, welche um das Schloß herumgeht, und dann mit einem tiefen Seufzer wiederum verschwindet. Die Veranlassung dazu ist folgende. Als am 6. Juli des Jahres 1698 Joh. K. Joachim (Rittmeister) auf Saritsch, und Jacob auf Zescha, Gebrüder von Theler bei ihrem Vetter, W. Ehrenreich von Theler auf Neschwitz bei einem freundschaftlichen Gastmahle waren, erhob sich zwischen erstgenannten Beiden ein Streit über politische Meinungen, welcher so heftig wurde, daß sie in’s Nebenzimmer gingen und ihre Degen zogen. Der Wirth, Wolf Ehrenreich, dies bemerkend, eilte ihnen, um Ruhe zu stiften, sofort nach, redete zur Sühne und ergriff, sich unter die Kämpfenden werfend, einen Stuhl, wobei er von einem der Zornwüthigen einen Stich erhielt, an dessen Folgen er am andern Tage starb.


860) Der Holzmann.

Geht man von Budissin auf der Löbauer Straße hin, so erblickt man unweit des Dorfes Kittlitz linker Hand ein Birkenwäldchen. In diesem begegnet man zu gewissen Zeiten einem langen abgehagerten Mann von verfallenem Gesichte, mit kleinen stechenden Augen und auffallend spitzem Kinn, welcher mühsam unter einer schweren Reißighocke einherkeucht. Wer ihn grüßt oder gar die gute Meinung hat, ihm seine Last zu erleichtern, dem hockt er auf, erschwert ihm den Weg, treibt allerlei Unfertigkeiten, und entläßt endlich die auf diese Art von ihm Gequälten, nachdem er sie derb durchgeprügelt hat. Der Gespenstige war nämlich, als er noch die Weltluft einathmete, ein harter, unerbittlich strenger Holzförster, der die armen Holzlesenden grausam behandelte, und dessen Geist nunmehr bis zur Erlösung zum Herumirren verbannt ist. Von denjenigen, welche ihn grüßen, glaubt er, daß sie ihn kennen, und mit seiner Strafe bekannt sind, und durch ihr Hülfeanbieten ihn nur verhöhnen wollen.

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Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 2. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 271. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_II_271.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)