Seite:Graesse Sagenschatz Sachsens II 324.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

das Gesicht noch mit einem Tuche. So nahm sie ihr Päckchen mit Garn unter den Arm und verließ das Schloß. Ihr Weg ging, wie man erzählt, in die Johannisgasse zu einem Zeugmacher, Langenbach mit Namen. Die Unterstube, von einem spärlichen Lämpchen erhellt, öffnend, traf sie die Familie beim bürgerlichen, damals kärglichen Abendbrote, dessen Hauptbestandtheil, die Suppe, bereits verzehrt war. Quark und schwarzes Brod, in jener Zeit schon eine respectable Kost, nebst einem Kruge selbst gebrauten Bieres schmückten den mit einem weiß und blau gestreiften reinlichen Tuche bedeckten Tisch. Einen schüchternen guten Abend bietend und gesegnete Mahlzeit wünschend, eröffnete die Fürstin dem Meister, daß sie Garn bringe und wieder Wolle mitnehmen wolle, und wurde von diesem angewiesen, sich einstweilen auf die, nahe der Thüre stehende hölzerne Lehnbank niederzusetzen, bis er sein Quarkbrod gegessen und dann sein Tischgebet gesprochen habe. Geduldig setzte sich die Fürstin auf den ihr angewiesenen Platz und wartete, bis die Meisterin ihrem Eheherrn ins Ohr flüsterte, daß sie der armen Frau auch eine Quarkbemme streichen wolle. Der Meister genehmigte es und nun erhielt die Spinnerin das Brod mit den Worten: „da, nehmt es Euern Kindern mit, denen wird es etwas Seltnes sein!“ Freundlich dankend nahm die gute Fürstin das Brod, betete dann andächtig mit der gesättigten Familie das Tischgebet und erhielt nun ihren Lohn, nachdem der Meister sorgfältig die Zahlen gezählt und ihr Gespinnst gelobt hatte. Ihr Bündchen frische Wolle unter dem Arme wanderte sie dem Schlosse wieder zu, erzählte dem Gemahl das gehabte Abenteuer, zeigte ihm das geschenkte Quarkbrod und freute sich mit ihm in herzlicher Eintracht.

Des andern Tages wunderte sich Meister Langebach, als er aufs Schloß beschieden wurde und noch mehr, als er in der Herzogin Zimmer eingeführt, diese am Spinnrade seine Wolle spinnen und das Quarkbrod sahe, welches seine mitleidige Ehehälfte der armen Frau für ihre Kinder gegeben. Und Christian, der edle Fürst, der auch zugegen war, bewillkommnete

Empfohlene Zitierweise:
Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 2. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 324. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_II_324.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)