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die starken Mauern und Thürme, die tiefen Gräben und hohen Wälle gezeigt hatte, sprach er bedeutungsvoll zu ihnen: „schauet den Fürsten“. Daher heißt Burg und Berg noch heute der Schauenforst.


102) Das Ritterfräulein zu Heilingen.
S. Bechstein. Thüringer Sagenbuch. Wien u. Leipzig 1858. Bd. II. S. 236 fg. Greß S. 122 fg.

Auf der jetzt verfallenen Burg zu Heilingen hauste weiland ein alter Ritter mit seiner einzigen Tochter. Nun freite ein benachbarter Ritter um das Fräulein, allein er stand dem Alten nicht als Eidam an. Das hinderte jedoch den jungen Herrn nicht, immer wiederzukommen, weil er bei dem Fräulein um desto mehr in Gunst stand. Zornig sprach der Alte einst: „läßt mir der Fant das Gereite nicht, so schießt ihn meine Armbrust das nächste Mal, wo er wiederkommt, vom Pferde.“ Die Tochter versetzte darauf: „Vater, thut Ihr das, so stürze ich mich vom Söller herunter; seht wohl zu, was Ihr thut!“ Was geschah? Der fremde Ritter kam wieder, der Heilinger Herr schoß nach ihm, und Mann und Roß stürzten zusammen. Da stürzte sich auch das Fräulein mit einem Weheruf hinab. Der junge Ritter, dessen Pferd aber nur getroffen war, stand wieder auf, todt aber blieb das Fräulein und geht seitdem in dem noch übrigen Thurme des Schlosses um, das bald darauf in Trümmern fiel.

Dort hütet sie nun die Weinschätze des Burgkellers, in welchem noch viele gute alte Jahresläufte lagern, und wandelt mit einem Schlüsselbunde umher und begabt, gleich andern solchen wandelnden Jungfrauen, Musicanten, oder junge Mädchen, die sich in ihrer Einfalt nach Wein hinauf in die öden Trümmer schicken lassen, wie sie einst einer etwas blöden Bauerntochter that, die ihr Vater dorthin sandte, weil sie in ihrer Einfalt gesagt hatte, sie wisse den Keller. Diese ging auch und kam zurück und brachte richtig Wein, der schmeckte trefflich und schmeckte nach mehr, und des Bauers Zechgäste

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Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 2. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 407. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_II_407.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)