Seite:Graesse Sagenschatz Sachsens II 411.jpg

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Als er aber geendet hatte, da trat mitten aus der Gesellschaft das weiße Fräulein hervor, welches er bis jetzt noch nicht bemerkt hatte, den weißen Schleier hatte sie zurückgeschlagen und schaute ihn so wundersam mit ihren blitzenden Zauberaugen an, daß ihm schier die Sinne vergingen und er kaum sah, daß sie ihm auf silberner Schale umgeben von Goldmünzen einen goldnen Becher voll funkelnden, duftigen Weines darreichte. Doch er ermannte sich, ergriff hastig den Becher und trank ihn mit langen, durstigen Zügen aus bis auf den Grund und setzte ihn dann wieder sich tief verneigend auf die silberne Schale nieder.

Da mit einem Male durchströmte ihn ein nie gekanntes Feuer, er glaubte sich in unbekannte Welten versetzt, er sah nur noch die sinnbethörenden Augen des weißen Fräuleins und sank dann betäubt nieder auf den grünen, weichen Moosboden des Burghofes. Als er aber am andern Morgen erwachte, da bewieß ihm die neben ihm stehende silberne Schale mit den funkelnden Goldmünzen, daß er nicht geträumt hatte. Aber es widerstand ihm in sein Heimathdörfchen zurückzukehren, es trieb ihn hinaus in die Ferne, und er zog mit seiner Fidel auf und davon und wanderte durch Fluren und Wälder, über Berg und Thal und suchte das Fräulein, die ihn bezaubert hatte, allein ob er wohl manches Land durchzogen hatte und manche Jahre über ihn dahin gerauscht waren, er fand keine Ruhe. Da kam aber plötzlich Heimweh über ihn und Sehnsucht nach dem alten Gemäuer des Schauenforstes, und so wanderte er denn wieder manchen lieben Tag, bis er die einsame Ruine wieder im Abenddämmerscheine herabglänzen sah, er klomm hinan und als er in den Burghof trat und das Fräulein nicht fand, da legte er sich matt und müde und bekümmerten Herzens nieder in das grüne weiche Moos und entschlief, das weiße Fräulein aber erschien ihm im Traume gerade so wie er sie in jener Pfingstnacht erblickt hatte, nahm ihn in ihren Arm und sprach: „Du guter Gesell, ruhe Dich aus von Deiner langen Irrfahrt, ich habe Dich längst erwartet.“ Er erwachte nicht wieder. Am nächsten

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Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 2. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 411. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_II_411.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)