Seite:Graesse Sagenschatz Sachsens I 067.jpg

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zwischen Siebeneichen und Scharfenberg liegt, sieht man in dem sogenannten Kornhause, einem Wirthschaftsgebäude, einen verwitterten, an eine Kette angeschlossenen Todtenkopf in einer schrankartigen Vertiefung stehen, von dem folgende schaurige Geschichte erzählt wird. Es versah im dortigen Rittergute einst ein Ochsenjunge[1] einige Zeit die Stelle eines Küchengehilfen und zeigte sich stets als einen anstelligen, ordentlichen Arbeiter. Da kommt eines Tags dem Koche ein silberner Löffel weg, und da er sich nicht wiederfindet, so schöpft man Verdacht auf den Jungen, bringt ihn auch, da er nichts gestehen will, auf die Folter, und als er hier vor Schmerzen sich schuldig bekennt, wird er zur Hinrichtung verurtheilt. Als er nun auf dem Schaffot steht und der Nachrichter sich bereitet, seine Pflicht zu thun, da ruft jener nochmals Gott zum Zeugen seiner Unschuld an und bittet ihn, zum Beweise, daß er ungerecht verurtheilt worden sei, sein Haupt niemals aus jenem Hause entfernen zu lassen. Wie nun sein Kopf gefallen und mit dem Körper, wie man meinte, weggebracht worden war, da findet man plötzlich den erstern in der Küche, wo jener Diebstahl vorgefallen war, wieder, und obgleich man ihn viele Male wieder eingegraben, ja sogar in die Elbe geworfen, immer stand der Kopf den andern Tag wieder an seinem frühern Orte, bis man endlich es aufgab, ihn los zu werden und ihn in jener Nische einmauerte. Uebrigens entdeckte man kurz nach der Hinrichtung des Unglücklichen den wahren Dieb, indem der Dachdecker bei Ausbesserung der Esse ein Elster- oder Rabennest fand, in welchem der diebische Vogel das gestohlene Gut versteckt hatte.



  1. Nach einer andern Sage war es der Sohn eines Freundes des Burgherrn, den dieser nach dem Tode seines Vaters bei sich aufgenommen hatte und seinem eigenen Sohne vorzog, der dann aus Rache den Siegelring seines Vaters entwendete und in die Truhe des fremden Junkers verbarg. Das Weitere stimmt überein, nur daß noch hinzugefügt wird, der verrätherische Jüngling habe, als er den Todtenkopf, der nicht wieder weichen wollte, beständig vor Augen gehabt, aus Verzweiflung seinem Leben durch einen freiwilligen Sprung vom Felsen herab ein Ende gemacht.
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Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 1. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_I_067.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)