Seite:Graesse Sagenschatz Sachsens I 319.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

machen also den Brunnen zu und suchen noch ferner im Hause herum. Wie sie aber das Mädchen nirgends finden und es gegen Morgen geht, setzen sie sich über ihre Arbeit, beten und seufzen zu Gott. Ueber eine Stunde hören sie eine Stimme gleichsam mit undeutlichem Schreien zwei- oder dreimal: „Mutter, Mutter!“ rufen, sie laufen also mit dem Lichte zum Brunnen, worauf sie dieselbe zu ihrer größten Verwunderung über dem Wasser stehen sehen, als lehne sie sich an die Mauer, schreiend: „o helft mir um Gottes Willen!“ Man läßt ihr den Eimer hinunter, in den tritt sie, aber wie man sie um die Hälfte emporbringt, fällt sie rücklings aus dem Eimer und schießt in’s Wasser hinein, daß es über ihr zusammenschlägt und man nichts mehr von ihr sehen kann. Darauf gehen sie also von dannen; allein nicht lange hernach hören sie abermals schreien wie zuvor und finden sie wiederum an der Mauer lehnen und um Gottes Willen bitten, man solle ihr helfen. Da lassen sie den Eimer zum andern Male hinunter, nebst einer starken Leine, und befehlen ihr, sie solle sich damit an die Kette knüpfen, fest anhalten und Gott vertrauen, ziehen sie also heraus, ganz bleich und eiskalt, daß man sich ihres Lebens nicht eine Stunde versehen. Darauf hat man sie in die Stube geführt, mit warmen Tüchern umgeben, ihr aus Gottes Wort vorgesagt, und sie vor Sünden gewarnt. Sie hat dann fleißig zugehört und Gott ihr Gnade gegeben, daß sie in Kurzem wieder zu ihrer Gesundheit gekommen, viele Jahre lang gelebt, auch einen Mann genommen und mit ihm Kinder gezeugt hat.


361) Der warnende Engel bei Roßwein.
Knauth. Th. VII. S. 237.

Am 10. Februar des Jahres 1671 wollte eine Frau von Roßwein nach dem Städtchen Hainichen gehen. Dieser begegnet um 10 Uhr Vormittags ein Knäblein mit lichtgelbem Haar und weißer Kleidung und kündigt derselben an, wenn

Empfohlene Zitierweise:
Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 1. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 319. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_I_319.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)