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auch bisweilen auf einer großen Linde in der Oberstadt sehen läßt und durch ihr mitternächtliches Krächzen Jedem, der es hört, den Tod binnen 3 Tagen verkündigen soll.


575) Der Kärrner zu Stollberg.
Novell. beh. v. C. Winter in d. Constit. Zeit. 1854. Nr. 101. sq. Poet. b. Ziehnert. Bd. III. S. 1 sq.

In der letzten Zeit vor dem 30jährigen Kriege lebte zu Stollberg eine Wittwe mit ihrer Tochter in einem kleinen Häuschen am Ende des Städtchens, welches ihr ihr Mann als einziges Erbe hinterlassen hatte. Dem Hause gegenüber wohnte ein junger Mann, der seinen Unterhalt damit fand, auf den Dörfern mit verschiedenen Waaren herumzuziehen, die er auf einem kleinen Wagen, welchen sein Hund zog, mit sich führte. Nun war derselbe schon längst der schönen Tochter der Wittwe heimlich gut gewesen und auch diese hatte ihn stets gern gesehen; da traf es sich, daß gerade am heiligen Christabend er ihr sein Herz aufschloß und sie fragte, ob sie sein Weib werden wolle. Natürlich ließ sich das Mädchen nicht lange bitten. Beide theilten der alten Mutter die frohe Neuigkeit mit und feierten so recht von Herzenslust den heiligen Abend. Allein plötzlich sprang der Kärrner auf und erklärte, er könne nicht länger bleiben, er müsse noch in das benachbarte, 1½ Stunde von dem Städtchen gelegene, Wittendorf (das später durch den Krieg zur wüsten Mark ward), um dorthin bestellte Waaren zu schaffen. Zwar bat ihn seine Braut, nur diesen Abend zu bleiben, es sei ihr so ängstlich zu Muthe, allein der Kärrner lachte sie aus und meinte, es sei ja Mondenschein, er habe den Weg schon so viele Male bei schlechterem Wetter und im Finstern gemacht, er werde ihn also auch heute nicht verfehlen. Kurz, er ließ sich nicht halten, sein Mädchen aber setzte sich traurig an den Spinnrocken und versuchte sich die Zeit mit Spinnen zu vertreiben. Aber in ihrer Herzensangst kamen ihr häßliche Bilder vor, die Spindel und das Garn schienen ihr blutig zu sein, und

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Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 1. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 513. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_I_513.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)