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Er verneigte sich und schwieg.

Der König antwortete: „Wo der Menschen Zeugnis fehlt, da mag der Allwissende, den wir anrufen, mit seinem Urteil eingreifen. Gretter, es ist unser Wille, zu erlauben, daß du durch die Eisenprobe dich reinigen darfst. Du sollst glühendes Eisen in deinen Händen tragen. Bleibt deine Haut dabei unversehrt, so sprach Gott für dich, und du bist gerechtfertigt. Zeigen deine Hände Brandwunden, so sprach der Allwissende gegen dich, und du bist schuldig! – Mag es dir gelingen!“ – –

Gretter verneigte sich und trat vom Throne zurück.

Er verließ die glänzende Versammlung, und suchte die Einsamkeit, um auf den entscheidenden Tag des Gottesgerichtes sich vorzubereiten durch Beten und durch Fasten.

In der Kirche sollte das Gottesgericht stattfinden, in dem altehrwürdigen Dom zu Drontheim.

In silbergrauem Gestein, kunstvoll gemeißelt, streben Säulen in die Höhe, breiten oben ihre Rippen fächerartig aus und schließen sich, einander begegnend, zu Gewölben fest zusammen. Leichtes Gitterwerk, in Stein gehauen, füllt die Fensteröffnungen und läßt dem durchquellenden Lichtstrahl freien Weg. Aus den Säulenknäufen schauen Köpfe von Drachen und Dämonen hervor, welche, geknebelt, auf ihren gekrümmten Rücken die aufstrebenden Bogen tragen, als Sinnbilder der unterworfenen bösen Gewalten, gelegt zum Schemel der Füße dessen, der die Welt durch sein Blut erlöst, durch seinen Geist geheiligt hat.

Ein stimmungsvolles Licht durchzieht die silbergrauen Hallen dieses altehrwürdigen Gotteshauses und spricht weissagend zum Herzen von dem Einklang und dem Frieden einer besseren Welt.

Der König und sein Gefolge, der Bischof und die Geistlichkeit hatten in die Kirche bereits ihren Einzug gehalten, und im hinteren erhöhten Raume vor dem Altare Platz genommen. Unten an den Stufen, welche zu diesem Hohen-Chor hinaufführten, standen Kohlenbecken aufgestellt, auf denen glühend gemachtes Eisen lag.

Das Schiff der Kirche war dicht gefüllt mit einer bunten, schaulustigen Menge. Angesammeltes Volk, das vergebens Einlaß gesucht, drängte sich draußen vor der Kirchthüre, und bildete eine Gasse für die Ankommenden.

„Hast du den Gretter schon gesehen?“ fragte ein Nachbar den anderen.

Empfohlene Zitierweise:
Dagobert Schoenfeld: Gretter der Starke. Schuster & Loeffler, Berlin 1896, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gretter_der_Starke.pdf/118&oldid=- (Version vom 1.8.2018)