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war, auch auszuführen, beschloß er, die erste sich darbietende Gelegenheit zu ergreifen, und dem Gretter an Leib und Leben zu gehen.

In einer stürmischen Frühjahrsnacht erwachte Gretter von dem Heulen des anschwellenden Sturmes. Er richtete sich im Bette auf, und fragte den Knecht: „Wo steht unser Boot? Kann der Sturm es auch fassen und zerschellen?“ –

„Ich sehe gleich nach!“ Mit diesem Wort sprang Thorer Rothbart aus dem Bette, verließ die Hütte, und ging zum See hinab. Er fand das Bot auf das Land gezogen, sicher vor Sturm und Wellen. Doch nun ergriff Thorer eine Axt, zerschlug das Boot, und streute die Stücke hin und her, sodaß es den Anschein gewann, als habe der Sturm das Zerstörungswerk gethan. Darauf kehrte er zur Hütte zurück, und meldete:

„Wir haben einen großen Verlust in dieser Nacht gehabt! – Unser Boot hat der Sturm zertrümmert, und die Netze sind hinausgeschwemmt weit in den See! – Wie sollen wir nun diese Netze wieder bekommen, da das Boot fort ist?“ –

„Schwimm’ du nach den Regen hin, und hole sie! Deine Schuld ist es, daß das Boot zerbrach! Warum zogst du es nicht an’s Land?“ –

„Alles kann ich,“ antwortete Thorer, „nur Schwimmen, dieses Eine kann ich nicht, du weißt es!“ –

„Wie sollen wir aber sonst zu unsern Netzen kommen, in denen unser Brot steckt?“ warf Gretter ein.

„Bei keiner Arbeit habe ich bisher dich im Stich gelassen! – Ich schaffte für zwei! Hier aber mußt du selbst helfen, Gretter!“

Gretter stand auf, griff nach seinen Waffen, und ging zum See hinab. Eine kleine Landzunge streckt sich in das Wasser hinaus. An ihrer Sohle buchtet das Erdreich scharf ein. Das Ufer fällt hier senkrecht ab, und das Wasser hat an dieser Stelle keinen Grund.

Thorer war dem Gretter gefolgt.

„Schwimm’ jetzt hinaus und hol’ die Netze!“ befahl Gretter noch einmal.

„Ich kann nicht schwimmen!“ – entgegnete Thorer. „Oft schon sagt ich’s dir. Hätt’ ich’s gelernt, ich thät’s! – Aber du, Gretter, kannst ja schwimmen! Freilich heut’ sind die Wellen hoch! – Dir vielleicht zu hoch, und der Sturm zu stark! – Es gehört Mut dazu, heute hinauszuschwimmen!“ –

„Mut?! – Wann hätte der mir jemals gefehlt?“ warf Gretter stolz ein. „Die Netze müssen wir haben. Ohne Netze haben wir kein

Empfohlene Zitierweise:
Emil Dagobert Schoenfeld: Gretter der Starke. Schuster & Loeffler, Berlin 1896, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gretter_der_Starke.pdf/164&oldid=- (Version vom 1.8.2018)