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Hufen wegzuscharren, und das Gras, welches sich unter dem Schnee frisch erhält, zu fressen.

„Das ist kalte Arbeit, aber männlich!“ sagte der Junge.

„Besonders empfehle ich dir die Stute Kingala[1], sie ist klug und führt die ganze Heerde. Die Pferde dürfen so lange draußen bleiben, als sie selber wollen. Die Kingala ist außerdem wetterkundig und wittert schon im voraus, wenn die Flüsse anschwellen, oder wenn ein Schneesturm kommt. Dann macht sie kehrt und läuft von selber in den Stall zurück. Bisher traf ihre Witterung immer ein. Darum brauchst du weiter nichts zu thun, als auf dieses kluge Tier zu achten. Geht die Stute auf die Weide, so folgst du ihr und hütest die Heerde; bleibt sie im Stalle zurück, so schließ die Thür und bleib’ daheim.“

Gretter nahm sich dieser Arbeit an. Das Weihnachtsfest war schon vorüber. Da trat starke Kälte ein und der Schnee fiel hoch, sodaß die Pferde draußen mit ihren Füßen tief den Schnee wegscharren mußten, um zum Futter zu kommen. Dennoch verließ die Kingala jeden Morgen von selbst den Stall und die ganze Heerde folgte ihr und alle Pferde blieben solange draußen, bis die Kingala mit lautem Wiehern das Zeichen zur Rückkehr gab.

Das geschah meistens nicht früher, als bis es ganz finster geworden war.

Gretter ritt nebenher in einen dicken Friesmantel gewickelt und sagte: „Es ist kalte Arbeit!“ –

Am meisten ärgerte es ihn, daß er selbst dem dummen Vieh gehorchen sollte; gehen, wenn sie ging, umkehren, wenn sie wollte, frieren, wenn es ihr beliebte, anstatt zu Hause am Feuer zu sitzen.

So faßte er denn gegen dieses Lieblingstier seines Vaters einen Groll und sann auf Rache.

Eines Morgens kam er in den Stall. Es war bitter kalt draußen. Die Kingala stand noch an ihrer Krippe und fraß. Da schwang sich Gretter auf ihren glatten Rücken, zog sein Messer aus der Tasche und zerschnitt dem Thiere kreuz und quer das Fell, sodaß Blut hervorquoll. Vom Schmerz gepeinigt schlug das Pferd so wütend aus, daß die Hufe gegen die Wände donnerten. Gretter fiel herab, aber er sprang wieder auf die Füße und trieb nun die Kingala mit ihrem wunden Rücken in die Kälte hinaus. Die anderen Pferde folgten. Doch der Kingala verging die Lust zu grasen, sie bog beständig den Kopf nach ihrem Rücken
Anmerkungen (Wikisource)

  1. isl. Kengálu


Empfohlene Zitierweise:
Dagobert Schoenfeld: Gretter der Starke. Schuster & Loeffler, Berlin 1896, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gretter_der_Starke.pdf/24&oldid=- (Version vom 1.8.2018)