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Sommerwochen sich einquartiert, um das Gras auf dem nahen Gebirgswiesen mit seinem Vieh abzuweiden. Endlich kam die Region des Schnees, der auch im Hochsommer den Angriffen der Sonne widersteht.

„Laßt uns eilen,“ sprach Torkel, „schneidig weht der Wind hier oben, der Baum kriecht nur noch als Strauch zu unseren Füßen und das Moos verdrängt das Gras. Wir sind versorgt, wir haben Säcke, gefüllt mit Speisevorrath, an den Sätteln hängen; aber unseren Pferden fehlt das Futter. Bald kommt der Abstieg, dann giebt es wieder Gras und ein geschütztes Lager für uns zur Nacht!“

In der That, die kleinen Wasser rechts und links am Wege, welche bisher dem Reisenden entgegenrieselten, liefen jetzt mit ihm, ein sicheres Zeichen, daß der Kamm des Hochgebirges überschritten war, daß es nun abwärts ging. Die Sonne hatte schon den Horizont erreicht, allein sie senkte sich nicht in das Meer hinab. Es war Mittsommer und, nachdem sie funkelnd den Rand des Meeres mit ihren Strahlen übergossen, stieg sie wieder königlich am Himmel aufwärts, ohne Nacht den jungen Tag an den alten knüpfend.

Die Reisenden waren müde. Die Landschaft Fljostunga[1] war erreicht und ein günstiger Lagerplatz aufgefunden. Man sprang aus dem Sattel. Die Männer, vom langen Sitzen müde, reckten ihre Glieder. Den Pferden nahm man nur die Zäume ab, die Sättel nicht, und ließ sie laufen. Die einen warfen sich zur Erde und rollten sich, die anderen schlugen vor Freude hinten aus. Dann lief jedes, sein Gras zu suchen, wohin es wollte.

Die Männer lagerten um ein schnell angezündetes Feuer und bereiteten aus den mitgenommenen Vorräten die Abendkost. Dann streckte sich ein jeder hin ins Gras, mit seinem Friesmantel zugedeckt, und bald war des Reisens Last und Lust im traumlosen, festen Schlaf vergessen.

Die Sonne stand schon hoch, als sie erwachten. Von den Knechten besorgten die einen die Frühkost, die anderen gingen, nach den Pferden suchen. Von diesen hatten manche sich weit verlaufen, und das Pferd, von Gretter gestern geritten, war nun gar nicht aufzufinden. Endlich fand sich auch dieses. Aber der Sattel war unter den Bauch gerutscht und der Brotbeutel, an den Sattel geknotet, war verloren. Das Tier hatte sich über Nacht hier und da gewälzt und, wer weiß, wo nun der Ranzen lag? Doch missen ihn, das ging nicht! Für die ganze Reise war das Brot darin; bei andern war nicht viel zu borgen, da jeder
Anmerkungen (Wikisource)

  1. isl. Fljótstunga (Ein Hof im Tal der Hvítá in der Nähe der bekannten Hraunfossar.)


Empfohlene Zitierweise:
Dagobert Schoenfeld: Gretter der Starke. Schuster & Loeffler, Berlin 1896, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gretter_der_Starke.pdf/33&oldid=- (Version vom 1.8.2018)