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„Vielleicht ein Schatz, vielleicht auch mehr als ein Schatz“, sagte Oedun. „Es giebt Dinge, über welche der Mensch gut thut, nicht nachzugrübeln.“

„Ich bin ohne Furcht. Sage, was du weißt.“

„Nun gut! so höre.“

„Diese Flamme brennt alle Nacht, wenn die Geisterstunde anbricht, über jenem Hügel dort auf der Landzunge gen Norden. Der Hügel ist ein Grab, und dieses Grab gehört Kaar, dem Alten, dem Vater des Torfin. Unter der Erde, so sagt man, sind starke Balken eingerammt, die eine Grabkammer umschließen. Dort sitzt der Tote, Kaar der Alte, auf seinem Stuhle, umgeben von seinen Schätzen. Aber seine Seele ist friedlos. Denn, seitdem er dort liegt, brennt Nacht für Nacht die Flamme auf seinem Grabe, und es spukt in der ganzen Umgegend.“

„Torfin, der Reiche, zog seinen Nutzen daraus. Ein Bauer nach dem andern, von diesem Spuk geängstigt, bot seinem Hof zum Kaufe an. Torfin zahlte gut und nun gehört ihm die ganze Insel.“

„Vormals also nur der Edelhof?“ fragte Gretter.

„So ist’s!“ entgegnete Oedun, „der Alte hilft noch nach seinem Tode dem Sohne das Erbe weiten.“

„Ich habe Lust, dieses Alten Bekanntschaft zu machen,“ sagte Gretter trocken.

„Mit solchen Dingen scherzt man nicht“, rief Oedun.

„Mein voller Ernst“, erwiderte Gretter! „Morgen in aller Frühe bin ich in Vindheim. Halte Werkzeug bereit. Bei Tage will ich den Hügel aufgraben, bei Nacht in ihn hinabsteigen und den Alten besuchen.“

„Wag’ nicht dein Leben, Gretter!“ sagte Oedun abwehrend, „mit Geistern kämpft man nicht. Und dann, denk’ an Torfins Zorn. Es ist seines Vaters Grab, das du anrührst. Ich rate dir: Laß davon ab!“ –

„Nur eine Probe, nichts weiter,“ sagte Gretter.

So schieden beide. Die Nacht verlief und früh am nächsten Morgen war Gretter schon zur Stelle. Das Werkzeug lag bereit.

Oedun begleitete schweigend seinen Freund und zeigte ihm die Stelle.

Auf einer Landzunge, ins Meer sich vorstreckend, vom Gischt der Brandung umtobt, von Klippen rings umstarrt, lag das Hünengrab, einsam und ernst.

Gretter setzte den Spaten in die Erde und fing an den Boden abzuräumen. Er grub einen Schacht und arbeitete eifrig, bis er, tiefer und

Empfohlene Zitierweise:
Dagobert Schoenfeld: Gretter der Starke. Schuster & Loeffler, Berlin 1896, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gretter_der_Starke.pdf/43&oldid=- (Version vom 1.8.2018)