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Gesetzesberg, eine aufspringende, breite Felsklippe, der von der Natur dargebotene, erhöhte Präsidentenstuhl. Auf ihm befand sich der Platz des Gesetzsprechers, des Vorsitzenden im Althing, der zugleich der vornehmste Mann im ganzen Lande war. Sein Amt beruhte auf der Wahl des Althings. Auf drei Jahre gewählt, war der Gesetzsprecher stets wieder wählbar. Und nicht viele Männer eigneten sich für dieses hohe Amt. Denn der Gesetzsprecher mußte alle Gesetze des Landes in seinem Kopfe haben und auswendig hersagen können. Dieses geschah in drei Abschnitten, verteilt auf die drei Jahre seiner Amtsperiode und zwar jedesmal auf dem Althing. Auf diese Weise sollte ein jeder durch Anhören die Gesetze des Landes sich einprägen. Ein geschriebenes Gesetzbuch bekam Island erst 1117.

Glückliche Zeit! Ohne Akten, ohne Folianten und ohne Druckerschwärze! Und glückliche Menschen von so gutem Gedächtnis! –

Der erste konstituierende Althing für Island wurde um das Jahr 929 abgehalten und er kam dann regelmäßig jährlich einmal um die Mitte des Juni zusammen.

Diese Versammlung vereinigte in sich die höchste gesetzgebende, so wie auf die höchste richterliche Gewalt des Landes, indem sie als Berufungsinstanz alle diejenigen Rechtshändel entschied, welche auf den 13 Sonderthingen des Landes nicht hatten geschlichtet werden können.

Die Beschlüsse des Althings wurden auf die einfachste Art bekannt gemacht, indem die Häuptlinge, von ihm heimgekehrt, jeder in seinem Bezirk die Bauern versammelte und mündlich das Beschlossene ihnen kundgab.

Diese Zeit des Althings, fallend in die herrlichen Tage des Juni, wenn die Sonne, unterbrochen durch keine Nacht, ihre unermüdlichen Strahlen der Erde zusendet, war die Hochsaison auf Island, die Zeit ernster, parlamentarischer Arbeit und zugleich die Zeit freundschaftlichen Wiedersehens und froher Lustbarkeit.

Und welch ein Blick! wenn man auf dem Gesetzesberge stand, im Rücken die schneebedeckten Gipfel des Gebirges Skjaldbreid, das Auge reichend bis an die blaue Flut des Thingwallavatn, zu den Füßen die grüne, sonnenbeglänzte Ebene mit den vielen Zelten und Hütten der Thingmänner und dem bunten Gewühl geschmückter, froher Leute. Hier das Volk, in einer ernsten Ratsversammlung zusammenstehend, dort in fröhlich plaudernden Gruppen umherwandelnd Frauen und

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Dagobert Schoenfeld: Gretter der Starke. Schuster & Loeffler, Berlin 1896, Seite 69. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gretter_der_Starke.pdf/87&oldid=- (Version vom 1.8.2018)