Seite:Grimm Linas Maerchenbuch II 099.jpg

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ihm nachkamen; und die Zither hängte er hoch auf in dem runden Thurme, und vermauerte die Eingänge und verschüttete sie mit den Steinen.

Aber die arme Mutter hat keine Ruhe im Grabe, bis ihr Mägdlein dem finstern Feinde wieder entrissen ist, und der Ritter hat keine Ruhe in seinem Herzen, bis er seinen Liebling wieder sieht, und hat auch dereinst keine Vergebung zu hoffen, bis er auch seinen Knaben für verloren beweint.

Als die Frauengestalt im Grabe diese Mähr geendet hatte, schloß sie ihren Knaben Adelbert an sich, und drückte ihm ihre Lippen auf seinen Mund, und sprach: „Ich weihe dich!“ und als sie Solches gesprochen, versank sie. Aber ihre Lippen waren kalt gewesen, und von ihren Blutnelken war ihm die unterste auf seine Stirne gefallen. Davon erwachte er, und fand sich auf dem Grabhügel. Aber droben im Thurme klangen die Töne noch fort in ihrer seltsamen Weise, und er verstand in ihnen wieder folgende Worte:

Wach, mein Knabe,
Bei dem Grabe:
Klimme zu des Thurmes Gitter,
Nimm die wundervolle Zither!
Knabe mein,
Kannst allein
Dir im Leben,
Mir im Grabe
Süße Gabe,
Kannst allein den ew’gen Frieden geben;

Empfohlene Zitierweise:
Albert Ludwig Grimm: Lina’s Mährchenbuch, Band 2. Julius Moritz Gebhardt, Grimma [1837], Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimm_Linas_Maerchenbuch_II_099.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)