Seite:Grimms Märchen Anmerkungen (Bolte Polivka) I 054.jpg

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nr. 3 = Groome nr. 2 ‘Baldpate’ (Kahn, Tor, Drache. Belebung des Freundes durch Erde). – Türkisch: Kúnos S. 256 nr. 34 ‘Die Tochter des Padischah von Kandehar’ (wunderbare Empfängnis beider Freunde. Bild der Sultanstochter. Der Veziersohn als Frau verkleidet entführt auch die Schwester des Bräutigams, belauscht zwei Tauben, tötet das verderbenbringende Pferd, Hündchen und Ungeheuer. Versteinert, wird er nach sieben Jahren durch das Blut des Kindes belebt). – Tatarisch: ein Lied der Sagaier ‘Ai Tolysy’ bei Radloff 2, 176–224 berichtet, wie Ai Tolysy für seinen Freund Kattandschula zweimal die Tochter des Tarbatty Ilan raubt und die Geschenke, die dieser für seinen Schwiegersohn mitgibt (Stiefel, Gurt, Hut), zerhaut. Er wird zu Stein und durch die Eingeweide des Kindes wieder lebendig. – In einem Märchen der äthiopischen Bilin (Reinisch, Bilin-Sprache 1, 104 nr. 19 ‘Zwei Freunde’) reißt ein Mann infolge einer Prophezeiung der Heiligen der Braut seines Freundes die Haare aus und schlachtet ihre Hochzeitskuh. Als er zur Rede gestellt wird, erzählt er jene Weissagung und versinkt. Auf den Rat eines Wahrsagers schlachtet später der Freund seinen Sohn mit abgewandtem Gesicht; da liegt ein schwarzes Schaf tot da, und der Sohn und der Mann sitzen lebendig daneben.

Aus Indien, wo Benfey (Pantschatantra 1, 416 f. Orient u. Occ. 1, 374) und F. v. d. Leyen (Ind. M. S. 139) den Ursprung des Märchens suchen, ist das vollständige Märchen freilich nur in drei jungen Überlieferungen bei Frere nr. 5 ‘Rama and Luxman’, bei Dames, Balochi tales nr. 13 ‘The prince, the goatherd and Naina Bai’ (Folk-lore 4, 285–294) und Lal Behari Day p. 17–52 ‘Phakir Chand’ (= The Bengal magazine 1876 48, 561) nachgewiesen. Der Ministersohn Luxman begleitet den Prinzen Rama auf seiner Brautfahrt, die mit keiner Entführung, sondern einer glücklichen Heirat endet; auf der Heimreise vernimmt er von zwei Eulen den drohenden Sturz des Baumes, des Palastes und die Gefahr der Schlangen, die Versteinerung wird durch bloße Berührung des königlichen Kindes gelöst. Der Zug, daß Rama schon anfangs einmal durch ein altes Weib auf seinen Freund argwöhnisch gemacht wird, findet sich im Baludschen-Märchen wieder; sonst ist alles verwickelter und romanhafter. Die Geliebte des Prinzen ist bereits verheiratet; der Freund deutet ihre Zeichensprache, rettet sie durch Kleidertausch und eine List beim Gottesurteil und wendet auf der Heimreise die im Traum erschauten Gefahren durch giftigen Quarkkäse und zwei Schlangen

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_054.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)