Seite:Grimms Märchen Anmerkungen (Bolte Polivka) I 165.jpg

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Märchen selbständig an verschiedenen Orten: in Deutschland zu Ende des Mittelalters, in Rußland als eine Parodie der heimischen Heldensagen, im Kaukasus und in Indien; nur in der Schilderung der Kriegstaten hängen die asiatischen Fassungen mit den kaukasischen, ost- und mitteleuropäischen zusammen; der Baum in der Hand des Helden ward in Europa mehrfach in ein Kreuz verwandelt.


21. Aschenputtel. 1856 S. 34.

1812 nr. 21 mit dem Vermerk: ‘Gehört unter die bekanntesten und wird aller Enden erzählt’. 1819 erweitert und umgearbeitet ‘nach drei Erzählungen aus Hessen’. Hinzugefügt ist der dritte Absatz, wonach der Vater verreist und die jüngste sich das Reis ausbittet, das zuerst im Wald an seinen Hut streifen würde;[1] dies pflanzt sie in die Erde, und daraus wächst das Bäumchen, woraus sich das Gold und Silber schüttelt (dazu die hsl. Bemerkung: ‘aus Sommer u. Winterg. Stein’). Neu ist ferner der Schluß von den Versen der Tauben an. Auch bleibt in der älteren Fassung Aschenputtel am ersten Abend daheim und sieht dem Tanze von ihrem Taubenschlag aus zu, den die eine Schwester am andern Morgen aus Mißgunst niederreißen läßt;[2] an den beiden folgenden Abenden wird sie von einem Wagen zum Fest abgeholt; die Tauben kommen ungerufen zu ihr und geben ihr Ratschläge; die kostbaren Kleider empfängt sie aber vom Bäumchen selber, nicht von einem Vogel darauf.

Eine der erwähnten Fassungen aus Zwehrn hat nicht den Eingang, wo die sterbende Mutter ihrem Kinde Beistand verspricht, sondern fängt gleich damit an, daß es einem Stiefkind schlimm geht; auch ist das Ende verschieden. Nachdem Aschenputtel ein Jahr lang vergnügt mit dem König gelebt, verreist er und läßt ihr alle Schlüssel zurück mit dem Befehl, eine gewisse Kammer nicht zu öffnen. Als er aber fort ist, wird sie von der falschen Schwester


  1. Vgl. das dänische Märchen bei Cox, Cinderella p. 237. Kristensen 1, 52 (Rosenstock), das čechische bei Waldau S. 638. Kubín 2, 45 nr. 16.
  2. Ähnlich im dänischen Märchen bei Cox, Cinderella p. 235, nr. 42. 46 und im čechischen bei Waldau S. 638, Kubín 2, 46 nr. 16, im serbokroatischen bei M. Stojanović S. 185, im magyarischen bei Jones-Kropf p. 209.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 165. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_165.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)