Seite:Grimms Märchen Anmerkungen (Bolte Polivka) I 198.jpg

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Hammers Fundgruben des Orients 1, 76: ‘Wer war der, welcher auf seiner Mutter (dem Pferde, das er durch Verkauf seiner Mutter erhielt) ritt und sich mit seinem Vater bewaffnete, der Wasser trank, aber weder von der Erde noch vom Himmel (Herr seines Pferdes) und der den Tod (Uriasbrief) auf seiner Schulter trug?’ Eine syrische Fassung bei Landberg, Proverbes et dictons du peuple arabe 1, 156 (1883) beginnt ähnlich dem Ruodlieb (ZfVk. 6, 169) mit drei Ratschlägen des Vaters; der unschuldig verleumdete Jüngling sendet seinen Gefährten mit dem Uriasbrief zum Statthalter, ißt das ungeborne Junge der erlegten Gazelle und trinkt den seinem Pferde abgewischten Schweiß; sein Rätsel lautet: ‘Wer aß lebendes Fleisch aus totem Leibe und trank Wasser weder von der Erde noch vom Himmel, während er den Tod auf dem Kopfe trug?’ – Ähnlich in einer Göttinger Hs. (arab. 70) und aramäisch bei Lidzbarski 1896 S. 265 ‘Geschichte der Kahramâneh und des jungen Prinzen’, vgl. S. X (Eltern verkauft, Uriasbrief, Schweiß des Rosses, getrunken, 22 Fragen der Prinzessin).

In einem merkwürdigen armenisch-persischen Märchen bei Haxthausen, Transkaukasia 1, 326 = Benfey, Pantschatantra 1, 445 gibt der Freier nicht selber ein Rätsel auf, sondern hat die Frage der persischen Königstochter zu beantworten; ‘Was hat Senoba dem Gül und was Gül der Senoba getan?’ Diese Frage bezieht sich, ebenso wie das Rätsel des blutschänderischen Königs Antiochus in der Geschichte des Apollonius von Tyrus und wie die dritte Frage der Prinzessin in Andersens Märchen vom Reisekameraden (unten zu nr. 133), auf die geheime Buhlerei der Prinzessin, die in einem unterirdischen Gemache einen häßlichen Zauberer verborgen hält und ihm schon zwei Kinder geboren hat. Mit Lebensgefahr erkundet der Jüngling von Gül, einem Knechte Salomos, wie derselbe Zauberer mit seinen Genossen sein Weib Senoba zur Untreue verführt hat[1]; er offenbart dem Könige die Schande seiner Tochter, und diese wird nebst ihren Kindern getötet, während der Zauberer entrinnt. – Eine rätselaufgebende Königstochter, die ein kluger Freier durch richtige Lösungen gewinnt, erscheint bereits in


  1. Über diese eingelegte Novelle von der büßenden Ehebrecherin vgl. Benfey 1, 443. Oesterley zu Pauli, Schimpf und Ernst nr. 223 und Gesta Romanorum cap. 56. Chauvin, Bibl. arabe 8, 161. Euphorion 6, 84. 462. Über Gül und Sanaubar Archiv f. Litgesch. 6, 601.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 198. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_198.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)