Seite:Grimms Märchen Anmerkungen (Bolte Polivka) I 210.jpg

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ein Bardel (Sänger) mit seiner Geige begegnet, sie singend empfängt und geleitet. Eine rote Kuh bittet gemelkt zu werden, damit ihr das Euter nicht zerspringe; das Mädchen tuts. Sie gelangen endlich an eine prächtige Stadt; das Männlein fragt, zu welchem Tore es eingehen wolle, zum Goldtor oder zum Pechtor. Es wählt aus Demut das letztere, wird aber durch das erstere geführt, wo alles von Gold trieft; Angesicht und Kleider werden ihr vergoldet. Eine Jungfrau fragt, wo sie wohnen will, im weißen oder schwarzen Haus; sie spricht wieder: ‘Im schwarzen’, wird aber ins weiße geführt. Eine andere fragt, ob sie lieber mit schönen Spinnerinnen Goldflachs spinnen und mit ihnen essen wolle, oder mit Katzen und Schlangen. Das Mädchen erschrickt, wird aber zu den Goldspinnerinnen gebracht, ißt mit ihnen Braten und trinkt Bier und Met. Nachdem es ein herrliches Leben eine Zeitlang da geführt, wird es durch ein Goldtor von einem andern Männchen wieder zurückgebracht und langt mit Goldkränzen behängt zu Hause an. Der gelbe Hahn kräht bei ihrer Ankunft Kickericki, kickericki! und alle rufen: ‘Da kommt die goldene Marie!’ Nun läßt sich die häßliche Schwester auch in den Brunnen stoßen. Es folgt von allem das Gegenteil, ein schwarzes Männchen führt sie fort, sie kommt durchs Pechtor in eine Nebelwohnung zu Schlangen und Kröten, wo sie sich nicht satt essen darf und Tag und Nacht keine Ruh hat. – In der Naubertischen Sammlung (1, 136–179) ist das Märchen im ganzen nach jener fünften, hessischen Erzählung bearbeitet und in der Weise der übrigen, aber recht angenehm, erweitert. – Eine andere Bearbeitung in den Erzählungen der Villeneuve (Contes marins. 1740), wovon zu Ulm 1765 eine Übersetzung unter dem Titel ‘Die junge Amerikanerin, oder Verkürzung müßiger Stunden auf dem Meer’ erschien. Das Murmeltier (Liron), so heißt das Stiefkind, muß die gröbste Arbeit verrichten, die Schafe hüten und dabei eine gegebene Zahl gesponnener Faden mit nach Haus bringen. Das Mädchen setzt sich oft an einen Brunnenrand, will eines Tages sich das Gesicht waschen und fällt hinein. Als es wieder zu sich kommt, befindet es sich in einer Krystallkugel unter den Händen einer schönen Brunnenfrau, der es die Haare kämmen muß, dafür bekommt es ein kostbares Kleid, und so oft es seine Haare schüttelt und sich kämmt, sollen glänzende Blumen herausfallen, und wenn es in Not ist, soll es sich herabstürzen und Hilfe bei ihr finden. Dann gibt sie ihm noch einen Schäferstab, der die Wölfe und Räuber abwehrt, ein Spinnrad und

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 210. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_210.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)