Seite:Grimms Märchen Anmerkungen (Bolte Polivka) I 273.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

die auch čechisch und polnisch vorhanden ist. Drei Spielleute wollen sich Holz zu einer Fiedel hauen; da blutet der Erlenbaum und hebt an zu reden, er sei ein Mädchen, das die Mutter verwünscht habe, weil es am Brunnen zu lange verweilte; nun sollen die Spielleute das Lied von ihm vor der Tür der hartherzigen Mutter geigen. – Ein estnisches Märchen von der ermordeten Schwester bei Kallas nr. 50 (Verh. der estn. Gesellschaft 20, 179), dem ein entstelltes estnisches Lied bei Neus (Estnische Volkslieder 1850 S. 56) entspricht, beginnt mit der Ermordung beim Beerensammeln und schließt daran die Verfertigung der Harfe aus einer Birke, die an jener Stelle erwachsen ist. Wie in den zuletzt genannten Balladen redet die Birke den Bruder an:

‘Brüderlein, Brüderlein,
Fälle mich, fälle mich!
Hell als Harfe werd ich klingen,
Hell als Harfe, langnachhallend.
Schwestern beide bösen Sinnes
Brachten um das liebe Beerlein,
Scharrtens ein auf Bergeshöhe.’

Daheim verwandelt sich die Harfe, nachdem alle Angehörigen auf ihr gespielt, in allerlei Getier und endlich in das Mädchen. – In einem entsprechenden lettischen Liede (Dorpater Jahrbücher 2, 404. 1834. Ulmann, Lettische Volkslieder 1874 S. 199) und in drei litauischen bei Nesselmann (Dainos S. 185 = Litauische Volkslieder 1853 nr. 378} ist das Mädchen im Bache verunglückt, eine Linde wächst aus ihrem Leichnam, aus welcher der Bruder eine Harfe (Pfeife) schnitzt; aber nicht diese redet, sondern die Mutter erkennt aus ihrem Tone die verlorene Tochter. Dagegen ist es in einem litauischen Märchen bei Geitler, Litauische Studien 1875 S. 42, von dem uns auch eine hsl. Fassung vorliegt, der Sohn der Mörderin, der einen Zweig vom Grabe der Ermordeten als Fiedelbogen benutzt, und nun offenbart die Geige jene Tat.

Aus Indien bei A. Campbell, Santal folk tales 1892 p. 52 = Jacobs, Indian fairy tales p. 40 nr. 6 ‘The magic fiddle’ (Mädchen von Schwägerinnen getötet, kommt aus der Bambusfiedel des Jogi heraus und bewirtet später ihre Brüder); in einer Variante bei Campbell p. 102 ‘Two princesses’ (Monseur, Bull. 3, 46) wird die Heldin von einem Affen überfallen und gefressen. F. Hahn nr. 20 ‘Eine Metamorphose’ (Mädchen von den Brüdern getötet und verzehrt;

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 273. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_273.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)