Seite:Grimms Märchen Anmerkungen (Bolte Polivka) I 349.jpg

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ein weit stärkeres Tier peinigt oder tötet; indes liegt kaum ein engerer Zusammenhang mit der boshaften Ziege vor.

Auf andre Weise leitet die 1812 als nr. 36, II gedruckte zweite hessische Fassung ein, die Dortchen Wild am 1. Oktober 1811 erzählt hatte:

Ein Schneider hatte drei Söhne, die wollt’ er nacheinander in die Welt schicken, da sollten sie was Rechtschaffenes lernen; und damit sie nicht leer ausgingen, bekam jeder einen Pfannkuchen und einen Heller mit auf den Weg. Der älteste zog aus und kam zu einem kleinen Mann, der wohnte in einer Nußschale, war aber gewaltig reich. Er sprach zu dem Schneider: ‘Wenn du meine Herde an dem Berg weiden und hüten willst, sollst du ein gut Geschenk von mir haben; doch mußt du dich in acht nehmen vor einem Haus am Fuß des Bergs, da gehts lustig zu, man hört immer Musik und Tanzgeschrei. Trittst du einmal hinein, so ists mit uns vorbei.’ Der Schneider willigte ein, trieb die Herde auf den Berg, hütete sie fleißig, blieb auch immer weit von dem Haus. Einmal aber auf einen Sonntag hört’ er, wie gar lustig es darin war, dacht: Einmal ist keinmal, ging hinein, tanzte und war vergnügt. Als er aber wieder herauskam, war Finsternis und Nacht, und die ganze Herde fort. Da ging er mit schwerem Herzen zu seinem Herrn und gestand ihm, was er getan. Der Herr in der Nußschale war gewaltig bös; doch weil er so lang seinen Dienst ordentlich versehen und weil er auch seinen Fehler offenherzig gestanden, schenkte er ihm ein Tischchendeckdich. Der Schneider war damit von Herzen zufrieden und machte sich auf den Heimweg zu seinem Vater. Unterwegs kam er in ein Wirtshaus, da ließ er sich von dem Wirt eine besondere Stube geben, sagte, er brauche kein Essen, und schloß sich ein. Der Wirt dachte: Was mag der wunderliche Gast vorhaben? schlich sich hinauf und guckte durch das Schlüsselloch. Da sah er, wie der Fremde einen kleinen Tisch vor sich setzte, ‘Tischchen deck dich’ sprach und alsbald das beste Essen und Trinken vor sich stehen hatte. Der Wirt meinte, das Tischchen wäre noch besser für ihn selber, und in der Nacht, als der Fremde fest schlief, holt’ er es heraus und stellte ein anderes dahin, das ebenso aussah. Am Morgen zog der Schneider fort und merkte nichts von dem Betrug. Als er heim kam, erzählte er seinem Vater sein Glück. Der war froh und wollte gleich das Wunder probieren, allein alles Sprechen ‘Tischchen deck dich’ war umsonst, es blieb leer, und der junge Schneider sah nun, daß er bestohlen war.

Da bekam der zweite Sohn seinen Pfannkuchen und Heller, sollt’ in die Welt gehn und es besser machen. Er kam auch zu dem Herrn in der Nußschale, diente ihm lange Zeit treulich; zuletzt aber ließ er sich auch verleiten, ging in das Haus, machte sich lustig, tanzte und verlor

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 349. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_349.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)