Seite:Grimms Märchen Anmerkungen (Bolte Polivka) I 350.jpg

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die Herde. Da mußte er seinen Abschied nehmen; der Herr aber schenkte ihm einen Esel, wenn er zu dem sprach: ‘Rüttel und schüttel dich, wirf Gold hinter dich und vor dich’, da regnete es Gold von allen Seiten. Der Schneider ging vergnügt nach Haus: im Wirtshaus aber vertauschte ihm der Wirt den Esel mit einem gemeinen, und wie er nach Haus kam und seinen Vater reicher machen wollte, wars vorbei und er um sein Glück gebracht.

Endlich ward der dritte Sohn mit der Ausstattung in die Welt geschickt, und der versprachs besser zu machen. Er diente dem Herrn in der Nußschale getreulich, und damit er nicht in das gefährliche Haus gerate, verstopfte er sich die Ohren mit Baumwolle; und als das Jahr herum war, überlieferte er ihm die ganze Herde, und kein Stück fehlte. Da sagte der Herr: ‘Ich muß dich besonders belohnen; da hast du einen Ranzen, darin steckt ein Knüppel, und sobald du sprichst: Knüppel aus dem Ranzen, so springt er heraus und weht die Leute durch und durch.’ Der Schneider machte sich damit auf den Heimweg und kehrte bei dem Wirt ein, der seinen beiden Brüdern ihre Geschenke abgenommen. Er warf seinen Ranzen auf den Tisch und erzählte von seinen Brüdern: ‘Der eine hat ein Tischchendeckdich, der andere einen Goldesel mitgebracht; das ist alles recht gut, aber nichts gegen das, was ich da im Ranzen habe, das kann die ganze Welt nicht bezahlen.’ Der Wirt ward neugierig und hoffte den Schatz auch noch zu kriegen. Als es Nacht ward, legte sich der Schneider auf die Streu, und seinen Ranzen legte er unter den Kopf. Der Wirt blieb auf und wartete, bis er dacht, der Schneider schlafe fest; da ging er herzu, holte einen andern Ranzen und wollte dem Schneider seinen unter dem Kopf wegziehen. Der war aber wach geblieben, und als er die Hand des Wirts merkte, rief er: ‘Knüppel aus dem Ranzen!’ Da sprang der Knüppel heraus, auf den Wirt und prügelte ihn so wichtig, daß er auf die Knie fiel und sehr um Gnade schrie. Der Schneider ließ aber den Knüppel nicht eher ruhen, bis der Dieb das Tischchendeckdich und den Goldesel herausgab. Dann zog er mit den drei Wunderstücken heim, und sie lebten von nun an in Reichtum und Glückseligkeit, und der Vater sagte: ‘Meinen Pfannkuchen und meinen Heller hab ich nicht umsonst ausgegeben.’

Ferner bei Albert Ludwig Grimm, Linas Märchenbuch 1816 2, 315 ‘Knüppel aus dem Sack’. Bechstein 1845 S. 140 = 1874 S. 153 ‘Tischlein deck dich, Esel streck dich, Knüppel aus dem Sack’ (die Brüder sind Schreiner, Müller, Drechsler). Heanzisch bei Bünker nr. 55 ‘Eisl nias Gelt, Tischl teick ti, Prigl ausn Såck’ (Michl, Seppl, Hansl beim Müller). Holsteinisch bei Wisser 2, 67 ‘De Snider un sin dree Söhns’ (Einleitung von der lügnerischen Ziege; die beiden älteren Söhne bringen Silber und Gold heim, wie

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 350. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_350.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)