Seite:Grimms Märchen Anmerkungen (Bolte Polivka) I 421.jpg

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sondern seine Schwester, die den Mord offenbart und die Bestrafung der Mörderin herbeiführt, in einen Uhu verwandelt. – Wie ein oben zu nr. 28 angeführtes Betschuanenmärchen,[1] so steht auch ein Negermärchen aus Louisiana (Fortier nr. 17 ‘The singing bones’) in der Mitte zwischen dem singenden Knochen und dem Machandelboom. Hier hört der Mann, der unwissend seiner Kinder Fleisch verzehrt hat, unter dem Steine im Hofe den Gesang erklingen:

Nous [notre] moman tchué [tuait] nous,
Nous popa manzé [mangeait] nous;
Nous pas dans la bière,
Nous pas dans cimetière.

Mit dem singenden Knochen (nr. 28) hat unser Märchen die Aufdeckung eines schaurigen Verwandtenmordes durch ein Lied gemeinsam; nur singt dies nicht ein aus den Gebeinen des Erschlagenen verfertigtes Musikinstrument, sondern der Geist des getöteten Knaben macht in Vogelgestalt die Untat überall kund, vollzieht selber an der argen Stiefmutter das Rachewerk und kehrt dann wieder ins Leben zurück. – Der Machandelbaum, unter dem die rechte Mutter begraben wird und auf dem der Vogel zum Schluß seine menschliche Gestalt wieder erhält, ist der im Hochdeutschen Wacholder (Queckholder, Reckholder, ags. cvicbeám, lat. juniperus) genannte Baum, über dessen Zauberkräfte J. Grimm, Myth. ³ S. 618. 3, 188; Kl. Schriften 2, 276 und Perger, Pflanzensagen 1864 S. 346 zu vergleichen ist. Dagegen ist die bei Hermann von Sachsenheim (Meister Altswert 1850 S. 177, 34) genannte ‘Fraw Wecholter’ eine Figur aus dem Romane von Herzog Herpin (Simrock, Volksbücher 11, 304). – Die böse Stiefmutter, von der ein altes Sprichwort sagt: ‘Stiefmutter Teufels Unterfutter’, verweist an viele andere Märchen, wie Brüderchen und Schwesterchen (nr. 11), die Männlein im Walde (13), Aschenputtel (21), Frau Holle (24), Sneewittchen (53), Einäuglein (130), die weiße und die schwarze Braut (135), die wahre Braut (186), wenngleich sich dort ihre Bosheit nicht bis zum


  1. Ein andres bei Casalis, Les Bassoutos 1859 p. 360 ‘La métamorphose d’une jeune fille’ berichtet, wie das von der Mutter getötete Mädchen aus dem Wasser seine Schwester anruft: ‘Deine Mutter, Mosibutsane, hat mich zu Staub verbrannt und in den Wind gestreut; das Krokodil nahm mich auf, gab mir Menschengestalt zurück und machte mich zu dem, was ich bin.’
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 421. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_421.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)