Seite:Grimms Märchen Anmerkungen (Bolte Polivka) I 441.jpg

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genießt die Liebe der Schlafenden, ohne daß sie erwacht: unten nr. 97 ‘Das Wasser des Lebens’; R. Köhler 1, 562; schwedisch bei Hyltén-Cavallius nr. 9 ‘Das Land der Jugend’ (er schreibt seinen Namen an die Wand, entsprechend dem Ringtausche im Perceforest und im katalanischen Gedicht); litauisch bei Leskien-Brugman S. 375 nr. 8 ‘Von den drei Königssöhnen’ vgl. S. 532; arabisch in 1001 Nacht (Chauvin 6, 7 nr. 183 ‘Le roi et le dragon’. Revue des trad. pop. 3, 561. 10, 139. Namen aufgeschrieben); indisch bei Steel & Temple p. 85 ‘Princess Aubergine’ = Indian Antiquary 9, 302 (verwandt mit dem Sneewittchen, vgl. S. 460).

Der Name der Heldin Dornröschen mag mit Beziehung auf die umgebende Dornhecke gewählt sein, begegnet aber auch 1660 in einem Lustspiele von Gryphius (Die geliebte Dornrose), bei Albrecht von Scharfenberg (Mundirosa) und in einer florentinischen Variante des Märchens (Rosa). Hierin und in den Namen der Kinder (Morgenröte und Tag bei Perrault, Sonne und Mond bei Basile und in maltesischen Fassungen) wird man schwerlich eine tiefere mythologische Bedeutung zu suchen haben; die Rose, die Sonne, der Mond sind allgemeine Schönheitssymbole, wie Miss Marriage in der Alemannia 26, 101. 116 und Prato in der Zs. f. Volkskunde 5, 363. 6, 24 dargelegt haben. Auch die von den Brüdern Grimm vor hundert Jahren unternommene und noch von Spiller verteidigte Ableitung unsres Märchens aus der germanischen Heldensage von Siegfried und Brunhild stößt angesichts der älteren romanischen Fassungen und der geringen Verbreitung bei den germanischen Stämmen auf erhebliche Bedenken. Uhland versuchte mit großem Scharfsinn, aber viel zu künstlich das Märchen auf eine mißverstandene alte Rechtsformel zurückzuführen, nach der eine Leibeigene durch die Heirat mit einem Freien ‘wiedergeboren’ d. h. frei wird. Vogt endlich hält die Grundlage des Märchens für einen Vegetationsmythus, dessen Ursprung sich durch Basiles Aufzeichnung bis ins griechische Altertum zurückverfolgen lasse; er glaubt nämlich in Basiles Heldin Talia die altgriechische Thaleia, eine Tochter des Hephaistos, wiederzuerkennen, die nach Äschylus Αἰτναῖοι von Zeus geliebt und vor der Eifersucht der Hera im Innern der Erde verborgen wurde; dort gebar sie ihm zwei Knaben, die Paliken genannt wurden und in Sicilien göttliche Verehrung genossen. Daß sich indes im italienischen Volke jene antike Sage bis ins 17. Jahrh. fortgepflanzt habe, ist zwar nicht unmöglich, aber sehr auffällig und

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 441. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_441.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)