Seite:Grimms Märchen Anmerkungen (Bolte Polivka) I 476.jpg

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verschmähen. Sie machen ihm Vorwürfe, daß er alles auf einmal verschlemmen wolle, doch versprechen sie zu kommen. Wie sie sich zur bestimmten Zeit einfinden, ist nur die Frau zu Haus, die gar nichts von den Gästen weiß und fürchtet, ihr Mann sei im Kopf verwirrt. Endlich kommt der Schneider auch, heißt die Frau die Stube eilig rein machen, grüßt seine Gäste und entschuldigt sich, sie hätten es zu Haus besser, er habe nur sehen wollen, ob sie nicht stolz durch ihren Reichtum geworden wären. Sie setzen sich zu Tisch, aber es kommt keine Schüssel zum Vorschein, da breitet der Schneider sein Tuch aus, spricht seine Worte, und im Augenblick steht alles voll der kostbarsten Speisen. ‘Ha, ha!’ denken die andern, ‘ist’s so gemeint? Du bist nicht so lahm, als du hinkst’, und versichern ihm Liebe und Brüderschaft bis in den Tod. Der Wirt sagt, das sei gar nicht nötig zu versichern, dabei schlägt er der Patrontasche auf eine Seite, alsbald kommen Spielleute und machen Musik, daß es eine Art hat. Dann klopft er auf die andere Seite, kommandiert Artillerie und hunderttausend Soldaten, die werfen einen Wall auf und führen Geschütz darauf, und so oft die drei Schneider trinken, feuern die Konstabler ab. Der Fürst wohnte vier Meilen davon und hört den Donner, also meint er, die Feinde wären gekommen, und schickt einen Trompeter ab; der bringt die Nachricht zurück, ein Schneider feiere seinen Geburtstag und mache sich lustig mit seinen guten Freunden. Der Fürst fährt selbst hinaus, und der Schneider traktiert ihn auf seinem Tuch. Dem Fürst gefällt das, und er bietet dem Schneider Ländereien und reichliches Auskommen dafür; der will aber nicht, sein Tuch ist ihm lieber, da hat er keine Sorge, Müh und Verdruß. Der Fürst faßt sich kurz, nimmt das Tuch mit Gewalt und fährt fort. Der Schneider hängt seine Patrontasche um und geht damit an des Fürsten Hof, bekommt aber einen Buckel voll Schläge. Da läuft er auf den Wall des Schlosses, läßt zwanzigtausend Mann aufmarschieren, die müssen ihre Stücke gegen das Schloß richten und darauf losfeuern. Da läßt der Fürst das Tuch herausbringen und demütig bitten, mit dem Feuer einzuhalten. Der Schneider läßt nun seine Mannschaft wieder ins Quartier rücken und lebt vergnügt mit den zwei andern Brüdern.

Ähnlich bei Molbech nr. 37 ‘Dugen og tasken’. Auch das angeführte holsteinische Märchen bei Wisser 2, 67 ist von diesem Volksbuche teilweise abhängig. Grundtvigs hsl. Verzeichnis nr. 63 ‘De sære frugter’. Skattegraveren 5, 132 ‘Tryllefrugterne’ (Goldapfel, Beutel, Schwert; Äpfel). Kristensen, Äventyr fra Jylland 1, 354 nr. 46 ‘De lange næser’ (Beutel, Gürtel, Horn; Kirschen und Wasser); 2, 298 nr. 44 ‘De fire kunster’ (Beutel, Messer, Mantel; Horn ruft Riesen, der den Raub der Prinzessin abfordert); 3, 305

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 476. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_476.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)