Seite:Grimms Märchen Anmerkungen (Bolte Polivka) I 483.jpg

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ward er als berühmter Arzt auch zu dem inzwischen erkrankten Mädchen gerufen; da verlangte er zunächst ein Sündenbekenntnis und Rückgabe des unrechtmäßigen Gutes, dann aber gab er ihr das erste Wasser und die ersten Früchte, so daß sie elend sterben mußte. – Um die Mitte des 15. Jahrh. ist der deutsche Roman Fortunatus verfaßt, der zuerst 1509 zu Augsburg im Druck erschien, in viele Sprachen übersetzt und selbst als Schauspiel bearbeitet wurde[1]. Nachdem der Erzähler im ersten Teile ausführlich berichtet hat, wie Fortunat von der Glücksgöttin mit einem Wunschsäckel begabt wurde und dem Sultan zu Alexandria einen Hut entwendete, der den Besitzer in die Ferne versetzte (Wünschmantel, Horn und Ranzen kommen nicht vor), handelt er von den Erben dieser Kleinode, Fortunats Söhnen Andolosia und Ampedo. Als die englische Prinzeß Agrippina dem älteren den Säckel entlockt hat, erbittet dieser sich vom Bruder den Wunschhut und entführt als Kaufmann verkleidet die Jungfrau, verliert sie aber, als er ihr unbedacht den Hut aufsetzt und sie sich heimsehnt. Als er seinen Hunger mit Äpfeln stillt, wachsen ihm Hörner; diese verschwinden aber, als er auf den Rat eines Einsiedlers von andern Äpfeln ißt. Als Krämer verkauft er nun der Agrippina einige von den ersten Früchten und kehrt, nachdem ihr ebenfalls Hörner gewachsen sind, als Arzt zu ihr zurück und erhält Säckel und Hut wieder.

Einfacher und den neueren Volksmärchen ähnlicher erzählt ein in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts gedrucktes italienisches Gedicht ‘Historia di tre giovani e di tre fate’ (114 Stanzen. Rua, Antiche novelle in versi 1893 p. 1) von drei Wandergesellen, denen


  1. Simrock, Deutsche Volksbücher 3, 49. Elberling, Danske Folkebøger 1, nr. 3 (1867); vgl. Nyerup, Morskabslæsning 1816 S. 157. Bäckström, Svenska folkböcker 2, 1 (1848). Van den Bergh, De nederlandsche Volksromans S. 128. Ashton, Chap-books of the 18. century 1882 p. 124. Histoire des aventures de Fortunatus, Rouen 1656 und Paris, Garnier c. 1860. Vgl. Thomas Dekker, Fortunatus und seine Söhne, aus dem Englischen von Fr. Wilh. Val. Schmidt (1819). Zacher, Fortunatus (Ersch-Gruber, Encyclopädie I, 46, 478). Tittmann, Schauspiele der englischen Komödianten 1880 S. XXVI. Harms, Die deutschen Fortunatus-Dramen (1892). Lázár, Über das Fortunatus-Märchen (1897); vgl. Zs. f. Volkskunde 8, 232.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 483. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_483.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)