Seite:Grimms Märchen Anmerkungen (Bolte Polivka) I 495.jpg

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In diesen Märchen hilft das elbische Wesen, dessen Namen binnen einer bestimmten Frist erraten werden muß oder nicht vergessen werden darf, einem Mädchen, das in kurzer Zeit eine große Menge Flachs oder gar Stroh verspinnen[1] soll; vermag sie den Namen nicht zu sagen, so soll sie oder ihr Kind jenem Wesen angehören. Bisweilen ist es auch ein Mann, dem der Zwerg unter der gleichen Bedingung aus der Not hilft; ein armer Weber im vlämischen Märchen bei de Mont und de Cock, Vertelsels S. 316 ‘Van den ouden wever en den duivel’ (Negelanderken); ein armer Bauer bei Vernaleken, KHM. S. 343 (Spitzbartele), Baumgarten, Linzer Museal-bericht 22, 142, Müllenhoff nr. 416 (Knirrficker) und 418 (Tepentiren). In verschiedenen norddeutschen und skandinavischen Ortssagen, die C. W. v. Sydow[2] näher untersucht hat, handelt es sich um die Errichtung eines großen Bauwerkes. Von dem Bau des Domes zu Lund erzählt man (J. L. Wolf, Encomion regni Daniae 1654 p. 568), daß ein Riese dem h. Laurentius den Bau zu vollenden verhieß; wenn dieser ihm aber nachher seinen Namen nicht zu nennen wisse, so habe er ihm Sonne und Mond zu geben (wie auch in Snorres Edda, Gylfaginning c. 42 dem Asgård bauenden Riesen verheißen wird) oder müsse sich seine Augen ausstechen lassen. Als das Werk fast vollendet war, ging der Heilige sorgenvoll umher, da hörte er einer Riesenfrau Stimme: ‘Schweig stille, mein Kind! Bald kommt dein Vater Find und bringt die Sonne und Mond zum Spielzeug oder des h. Laurentius beide Augen’. Froh kehrte Laurentius heim; wie er den Riesen mit seinem Namen anredete, ward dieser zu Stein. Ähnlich bei Cosquin 1, 271 (Finn). J. P. Möller, Folkesagn fra Bornholm 1867 S. 3 (Finj). Thiele, Danmarks


  1. Zum Spinnen des Goldes erinnert J. Grimm an die schwere, kummervolle Verfertigung des Golddrahtes, die armen Jungfrauen zufiel. So heißt es in der dänischen Ballade bei W. Grimm 1811 S. 249 = Grundtvig, DgF. 5, 385 nr. 285 D, 24: ‘Nun hab ich Sorg so mannigfach wie Jungfrauen, die spinnen Gold’. A. Schultz, Das höfische Leben ² 1, 193³. Hartmann, Iwein v. 6186. Wolfdietrich B, Str. 85 (Deutsches Heldenbuch 3, 180). In der färöischen Ballade von der wunderbaren Harfe dagegen (Hammershaimb, Fœrösk Anthologi nr. 7. Geijer-Afzelius, Sv. folkvisor² 2, 69. Firmenich 3, 830. R. Köhler, Aufsätze 1894 S. 83) wird es als Vorzug der kunstreichen jüngeren Schwester angeführt, daß sie Gold spinnen konnte.
  2. Studier i Finnsägnen och besläktade byggmästarsägner (Fataburen 1907, 65. 199. 1908, 19).
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 495. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_495.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)