Seite:Grimms Märchen Anmerkungen (Bolte Polivka) I 547.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

einen Finger abzuhacken, wobei er ihn selber von hinten packt, wie es schon um 1340 der Augsburger Magister Konrad Derrer erzählt (Zs. f. Volkskunde 17, 334¹); bei Strackerjan ² 2, 451 nr. 622 ‘Die Lebensblumen’ überwältigt der dritte Bruder mit seinen Hunden den mörderischen Schwager und erweckt seine toten Geschwister; vgl. ebd. 2, 479 nr. 630b.

Sehr verbreitet ist fünftens die Episode vom Drachentöter, der mit seinen Hunden (Waldtieren) eine dem Drachen preisgegebene Königstochter befreit und einen falschen Diener, der ihn um seinen Lohn betrügen will, durch die Vorzeigung der ausgeschnittenen Drachenzungen entlarvt. Wenn wir auch von der Befreiung der Andromeda durch Perseus (Hartland, The legend of Perseus 3, 1–65. 1896), vom Kampfe Sankt Georgs[1] oder Siegfrieds mit dem Drachen[2], von der Erlegung des Lindwurms Phetan durch Wigalois[3] und andern weiter abliegenden Drachenabenteuern[4] hier absehen, so verdient doch die persische Sage von Guschtasp (Hystaspes) in Firdusis Königsbuch (3, 282–311 in Rückerts Verdeutschung 1895; 4, 314 in Warners englischer Übersetzung 1909; Görres, Heldenbuch von Iran 2, 246–256. 1820) Erwähnung: abenteuernd kommt dieser Königssohn von Iran nach Konstantinopel, tritt bei einem Schmiede in die Lehre und zerschmettert gleich Siegfried Hammer und Amboß, wird von der Prinzeß Kitajun, die ihn im Traume gesehn,


  1. Reinbot von Durne, Der heilige Georg ed. Vetter 1896 S. LXXV.
  2. Das Lied vom hürnen Seyfried ed. Golther 1889. E. Bernhöft, Diss. Rostock 1910. Panzer, Studien zur germanischen Sagengeschichte 2, 1–35 (1912). – Rassmann (Die deutsche Heldensage 1, 360–408. 1856) nimmt unser Märchen, das er 1, 374 vollständig abdruckt, samt nr. 90, 91, 92, 93 und 111 als Nachklänge der Siegfriedsage in Anspruch; vgl. unten S. 555.
  3. Bei Wirnt von Gravenberg wird Wigalois durch ein gehörntes Tier und (v. 4298) durch ein Feuer im Walde zu diesem Kampfe gelockt, wie der eine Bruder in unserm Märchen zum Abenteuer mit der Hexe.
  4. Liebrecht, Zur Volkskunde S. 70. Die Brüder Grimm erinnern auch an Thors Kampf mit der Midgardsschlange in der Völuspâ und in der jüngeren Edda. Frobenius, Der schwarze Dekameron S. 140 ‘Der Kampf mit dem Bida-Drachen’. Panzer, Studien 1, 146. 294 (1910). – Warum der Drache nur gegen ein Menschenopfer die Benutzung des Brunnens verstattet, erzählt eine eigentümliche huzulische Legende bei Šuchevyč S. 15 nr. 11, nach der Gott dies Untier (žertva) auf die Erde sandte, daß es ihm vom Treiben der Menschen berichte.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 547. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_547.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)