Seite:Grimms Märchen Anmerkungen (Bolte Polivka) I 556.jpg

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erläutert haben. Beide Kinder sind zugleich und wunderbar geboren. Das Wahrzeichen bei ihrer Trennung, das in den Baum gestoßene Messer entspricht den Goldbechern des Amicus und Amelius. Ursprünglich vielleicht ist es das Messer gewesen, womit die Adern geritzt wurden, um Blutsbrüderschaft zu trinken; vgl. die Anmerkung zum Märchen vom Lebenswasser (nr. 97). Der eine nimmt des andern Stelle ein zu Haus und bei seiner Frau, doch trennt er ihr Lager durch das Schwert. Die Krankheit, die den einen befällt und ihn aus der Gesellschaft der Menschen treibt, ist hier der Zauber der Hexe, der zu Stein macht und welchen der andere wieder aufhebt; vgl. das Märchen vom getreuen Johannes (nr. 6).

Dagegen hat E. S. Hartland in einem dreibändigen gelehrten Werke ‘The legend of Perseus’ (1894–1896) das Märchen auf die Perseussage zurückzuführen gesucht, wie sie Ovid (Met. 4, 604–5. 241; vgl. Kuhnert in Roschers Lexikon der griech. Mythologie 3, 2, 1886[WS 1]) am ausführlichsten erzählt. Er gesteht allerdings zu, daß von den vier Hauptteilen des Märchens, der wunderbaren Geburt, den Lebenszeichen, der Befreiung der dem Drachen preisgegebenen Jungfrau und der Tötung der alle versteinernden Hexe, der zweite in der antiken Sage nicht vorkommt, und daß auch sonst Unterschiede auffallen (3, 152): das Medusaabenteuer steht nicht hinter, sondern vor der Erlösung der Andromeda und hat größere Bedeutung als das der Hexe im Brudermärchen, statt der hilfreichen Tiere unterstützen den Helden wunderbare Waffen, wie der spiegelblanke Schild, durch den er den unmittelbaren Anblick der Medusa vermeidet, es fehlt der sich des Helden Lohn anmaßende Betrüger, dem der Nebenbuhler Phineus kaum zu vergleichen ist. Trotzdem nimmt Hartland (3, 158) eine ältere Sagenform an, welche nur die übernatürliche Abkunft des Helden und die Gewinnung des Gorgonenhauptes berichtete und in Einzelheiten dem heutigen Märchen näher stand. Daß in diesem statt des einen Helden zumeist zwei oder drei Brüder auftreten, von denen der jüngste den oder die älteren aus der Versteinerung befreit, wird dabei als eine Nebensache behandelt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: 1986
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 556. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_556.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)