Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/131

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

das im Laufe von 36 Stunden die alte Dünastadt in ihren Grundfesten hatte erzittern lassen. Nun erst bekamen wir in eindringlicher Weise einen Eindruck von den Schrecken des Krieges, sozusagen eine demonstratio ad oculos, denn bald waren einige Gebäude beschädigt und andere in Brand geschossen worden, so daß die Feuerwehr mehrfach ausrücken mußte.

Trotzdem ließen die Leute sich vorläufig in ihren Geschäften nicht allzusehr stören; bei Erkundigungen im Stabe erhielt man noch immer den Bescheid, daß die Lage sich allerdings ernst gestalte, daß jedoch von einer ernstlichen Gefährdung weder der Front noch auch der Stadt die Rede sein könne. Immerhin beschleunigten nun zahlreiche militärische und sonstige Institutionen und Organisationen ihre Abreise, gleichzeitig begannen gegen Abend Telegraphen- und Telephonparks, Automobilrotten, militärtechnische Organisationen usw. zum Aufbruch zu rüsten. Der Bahnhof war von Zivilisten und Beamten überfüllt, die Züge besetzt bis zum äußersten.

Im Laufe der Nacht auf Sonntag rollten die Trains mit dumpfem Gepolter durch die Straßen. Man hörte den Gesang abziehender Truppen, die vom linken Dünaufer kamen und absonderlicherweise nicht nur mit Gesang, sondern zum Teil auch mit klingendem Spiel und den wehenden roten Fetzen abzogen, die die Revolution an Stelle der alten, ruhmbedeckten russischen Fahnen gesetzt hat.

Währenddessen dauerte das Bombardement fort. In der Stille der Nacht erschienen die Detonationen noch lauter als am Tage. Wie stets in solchen Fällen schwirrten bald die übertriebensten Gerüchte über die verursachten Beschädigungen, die sich in der Folge als relativ klein erwiesen, durch die Stadt und riefen eine verständliche überaus nervöse Stimmung hervor. Man fühlte, daß es nun ernst wurde, daß man unmittelbar vor einer Entscheidung stand. Vorläufig hatte man mit dem Bombardement zu rechnen, — wußte man doch nicht, wohin die Geschosse im nächsten

Empfohlene Zitierweise:
Oskar Grosberg: Russische Schattenbilder aus Krieg und Revolution. C. F. Amelang, Leipzig 1918, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/131&oldid=- (Version vom 1.8.2018)