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wie schnell die erfreuliche Mär in der Stadt sich verbreitete und welche Völkerwanderung zum Güterbahnhofe sich alsbald entwickelte. Mit Säcken, Beuteln und Körben, Behältnissen jeder Art, strömten die Leutchen von allen Zeiten herbei, doch wie staunten sie, als sie gewahr wurden, daß die ärmlichen Transportmittel, die sie mitgebracht hatten, die Menge der guten Sachen, die zu ihrer Verfügung gestellt wurden, nicht zu fassen vermochten! Durfte man doch hineingreifen in die reichen Vorräte, und wo man sie packte, da waren sie interessant. Da gab es Mehl ohne Ende, Grützen, Dörrgemüse, Zucker, Petroleum, Butter, Biskuits, Obst, Fette aller Art, Öle, Schokolade, Tabak, Hartbrot, Konserven, Leder, Eisenwaren, Sattelzeug und tausend andere Dinge, die berghoch aufgestapelt lagen und nun vernichtet werden sollten, wenn man sich ihrer nicht annahm.

Man wußte nicht, wonach man zuerst greifen sollte, denn alle die guten und kostbaren Dinge konnte man in diesen knappen Zeiten nur zu gut gebrauchen, und wenn man sie nicht selbst gebrauchen konnte, so konnte man sie mit Vorteil verkaufen, denn was hat heutzutage nicht Wert, woran kann man nicht verdienen? Man griff also frisch zu. Man belud sich mit Mehl, oder Zucker, oder Konserven, brachte sie draußen in Sicherheit und holte alsbald neuen Vorrat. Es geschah freilich, daß irgendein Desperado die zusammengehamsterten Vorräte abgeholt hatte, während der Eigner in den Speichern weilte, aber dem half man bald ab, indem man sich organisierte, d. h. einige Personen holten die Waren, während andere sie bewachten.

Ganze Familien wanderten in corpore zum Bahnhof, und wer nahe wohnte, der durfte das Schicksal preisen, denn er konnte das Eingeholte zu Hause bergen und immer wieder neue Beute holen. Doppelt glücklich aber war der, der einen Gaul nebst Wagen sein eigen nennen durfte; solche Leute beluden ihr Gefährt bis zu Turmes Höhe und dann eilten sie davon, wie auf Doktor Fausts Zaubermantel,

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Oskar Grosberg: Russische Schattenbilder aus Krieg und Revolution. C. F. Amelang, Leipzig 1918, Seite 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/151&oldid=- (Version vom 1.8.2018)