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ihres Gegröhls und Gedudels, das zu einer wahren Stadtplage geworden war. Man sah sie weder an den Waggons der Tram hängen, noch vor den Haustüren und in den Anlagen lungern, oder in den öffentlichen Gärten dem Kartenspiel frönen und poussieren, — sie waren von der Bildfläche verschwunden, gleichwie Iskosol, Iskorad, Maximalisten und Minimalisten, Internationalisten und andere Organisationen, die gehofft hatten, das Blaue vom Himmel herunterholen zu können, verschwunden waren. Verschwunden waren zum größten Teil auch die absonderlichen Hüter der öffentlichen Ordnung, die berühmten Milizionäre, diese närrische Grimasse einer Ordnungsmannschaft. Was war nicht alles in dieser einen Nacht verschwunden, und was war nicht wieder in seine Rechte eingesetzt worden! Wir durchlebten zauberhafte Wandlungen, eine ganz ungeahnte Umwertung der Werte, eine völlige Verschiebung der politischen, militärischen und sozialen Verhältnisse. Waren wir doch nun von dem gewaltigen russischen Hinterlande, mit dem wir seit Jahrhunderten durch tausend und aber tausend Fäden verbunden gewesen, mit einem Schlage abgeschnitten und in die Lage eines auf seine eigenen kümmerlichen Hilfsquellen angewiesenen isolierten Staates versetzt worden.

Am Nachmittage gab es Platzmusik. Man hörte nach langer Zeit wieder die vertrauten deutschen Weisen, man sah wieder farbige Mützen, man sprach wieder deutsch, ohne daß man befürchten mußte, von einem Rowdy brutalisiert zu werden. Das Leben gelangte unglaublich rasch wieder in das alte Geleise. Es hatte sich nur ein blitzschneller Dekorationswechsel vollzogen, es hatte sich lediglich eine Episode der gewaltigen Welttragödie, die in ehernem Rhythmus weitergeht, abgespielt.

Ein Dekorationswechsel! Statt der saloppen, dekolletierten Towarischtschi flanierten nun stramme deutsche Soldaten über die Boulevards, sie hatten nach Soldatenbrauch Anschluß gesucht und ihn auch ohne weiteres gefunden. Statt dem erträumten

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Oskar Grosberg: Russische Schattenbilder aus Krieg und Revolution. C. F. Amelang, Leipzig 1918, Seite 152. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/156&oldid=- (Version vom 1.8.2018)