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Petersburg zustrebe. Man hatte in Erfahrung gebracht, daß einzelne Institutionen sich für den Fall einer Belagerung verproviantierten, und daß man beabsichtige, die Schätze der kaiserlichen Eremitage und der Paläste in Sicherheit zu bringen. Ein Gerücht überbot das andere, und bald befand sich auch die stillste Sommerfrische im Brodelzustande hochgradiger Erregtheit. Man fühlte sich nicht mehr sicher, obgleich niemand sagen konnte, welche Gefahren eigentlich zu gewärtigen gewesen wären. Ganz besonders aufgeregt waren die Dienstboten, von denen viele ihre Stellungen aufgaben und sich in ihre Heimatdörfer begaben. „Wenn man schon sterben muß,“ sagten sie, „dann stirbt man doch wenigstens mit den Seinigen!“

Unter sotanen Umständen war es jedenfalls besser, daß man den Penaten zustrebte und die Sommerfrische abbrach. Man packte also in fliegender Eile, oder man packte auch nicht, ließ alles liegen und eilte fluchtartig in die Stadt. Man zahlte Hunderte von Rubeln für eine Fuhre, die die Habseligkeiten auf 30 Werst zu befördern hatte, man ließ Habseligkeiten einfach im Stich, im Landhause, auf den Eisenbahnstationen oder sonst irgendwo und machte, daß man davonkam. Ganz besonders vorsichtige Menschen flohen der Sicherheit wegen gleich nach Moskau oder noch weiter landeinwärts. Auf den Eisenbahnen spielten sich unglaubliche Szenen ab; man saß nicht nur in drangvoll fürchterlicher Enge in den überfüllten Abteilen, sondern auch in den Korridoren, stand auf den Plattformen, hockte auf den Dächern und Trittbrettern, und hielt selbst die intimen Abteile, die stillberühmten Klausen der Waggons, besetzt. Auf den Stationen türmte sich die Bagage zu wahren Tschimborassos, und niemand konnte sagen, wann und ob sie je an ihren Bestimmungsorten eintreffen würde.

Ich lebte auf meinem Landhause in Finnland und mußte bei meinen täglichen Fahrten nach Petersburg bald auf die Eisenbahn verzichten und statt deren entweder Fahrzeug

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Oskar Grosberg: Russische Schattenbilder aus Krieg und Revolution. C. F. Amelang, Leipzig 1918, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/16&oldid=- (Version vom 1.8.2018)