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durch Petersburg und mußte mit Entsetzen konstatieren, daß ein halbes Jahr Verbannung den jugendstarken, lebensprühenden Mann in einen müden und gebrochenen Greis verwandelt hatte. Seine Freilassung hatte er in der Weise erwirkt, daß er sein ganzes Vermögen dem Gouverneur von Orenburg, Ssuchomlinow, dem Bruder des nachmaligen Kriegsministers, hingegeben hatte.

Es waren das unheilschwangere, in hohem Grade niederdrückende und aufregende Tage und Wochen, die die Deutschen Petersburgs zu durchleben hatten. Nicht nur die Reichsdeutschen und Österreicher hatten die Massendenunziationen zu fürchten, sondern auch die Deutschrussen, die in geschäftlichen oder sonstigen Beziehungen zu Deutschland bzw. Österreich gestanden, zum Deutschen Verein gehört oder gar irgendwann einen Beitrag für den Deutschen Flottenverein gezeichnet hatten. Das Deutschtum wurde zum Verbrechen und die deutsche Sprache zum strafbaren Vergehen gestempelt. Kein Deutscher war in seinen vier Wänden sicher, denn man konnte fürchten, das Opfer einer wahnwitzigen Denunziation zu werden und auf die törichtesten Verdächtigungen hin in das Untersuchungsgefängnis zu geraten.

Harmlose Zeitungsnummern, Ansichtskarten und ähnliche „belastende Dokumente“ konnten die Verschickung einbringen, daher war man bemüht, alle derartigen Dinge beizeiten zu vernichten, oder sich auf einen glücklichen Zufall zu verlassen, wie jener Musiker, bei dem die haussuchenden Gendarmen das Bildnis eines deutschen Prinzen in Kürassieruniform vorfanden.

„Ein deutscher Kürassier?“ fragte frohlockend der Gendarmenoberst.

„Nein, sondern ein Wagnersänger in der Rolle des Lohengrin.“

„Ah, Lohengrin! Wunderbare Oper; habe sie gehört. Sehr gut.“

Empfohlene Zitierweise:
Oskar Grosberg: Russische Schattenbilder aus Krieg und Revolution. C. F. Amelang, Leipzig 1918, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/34&oldid=- (Version vom 1.8.2018)