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örtlichen Autoritäten zu stellen wußte, dennoch wurde die Verbannung für die weitaus meisten Deutschen, auch für Begüterte, zu einem Martyrium, zu einem Leidenswege ohnegleichen. Tausende und aber Tausende mußten in elenden, von Schmutz, Verkommenheit und Ungeziefer starrenden Dörfern inmitten einer barbarischen, zum Teil fanatisierten Bevölkerung leben und mußten von dieser das Schlimmste gewärtigen. Ganz besonders schwierig gestaltete sich das Verhältnis zu den niederen Polizeichargen, die eine wahre Pest im Lande bildeten; es ist daher nur zu verständlich, daß eine der ersten Sorgen des revolutionären Rußland darin bestand, daß es sich der Polizei entledigte. Diese Kerle, die das russische Dorf terrorisierten und es zu ihrer Milchkuh machten, nutzten die armen Verbannten bis aufs Blut aus und ließen sie trotzdem ihre Gewalt auf Schritt und Tritt fühlen.

Der „Patriotismus“, der hohe Wellen schlug, verlangte aber nach immer neuen Opfern und man suchte und schnüffelte sie an allen Ecken und Enden heraus. Man scherte sich weder um Stellung noch Verdienst, sondern es genügte, daß einer Deutscher war, um ihn zu verderben. Schließlich konnte auch die Petersburger Polizei nicht mehr gut „Nachsicht“ üben, denn man denunzierte nun von allen Seiten. Insbesondere zeichneten sich die russischen Angestellten vieler deutscher Geschäfte in dieser Beziehung aus — Leute, die oft Jahrzehnte hindurch auskömmliche Stellungen in solchen Geschäften bekleidet hatten, verrieten ihre Prinzipale ad majorem gloriam des Patriotismus, oder auf Betreiben russischer Konkurrenten, die sich ins Fäustchen lachten und nicht unterließen, auf die ungeheuerliche Vergewaltigung hinzuweisen, unter der die unglücklichen Russen gelitten haben sollten. Die „Nowoje Wremja“ war unentwegt am Werke, sie spritzte Gift und Galle. Wehe dem, der auch nur ein Wort gegen diese unglaubliche Mißhandlung der Deutschen und gegen die mit diesen Nachstellungen verknüpften

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Oskar Grosberg: Russische Schattenbilder aus Krieg und Revolution. C. F. Amelang, Leipzig 1918, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/37&oldid=- (Version vom 1.8.2018)