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erklärt hatte, daß man des „deutschen Krempels“ gar nicht bedürfe, sondern alles Erforderliche im eigenen Lande und mit eigenen Mitteln herstellen würde, versagte, und sie deckte sich zunächst mit der ärmlichen Ausflucht, daß die Industrie noch immer unter den verderblichen Einwirkungen der „deutschen Vergewaltigung“ stehe, die ihre schwere Hand durch Jahrzehnte auf Rußland habe ruhen lassen, aber schließlich suchte sie gar nicht mehr nach Ausflüchten, sondern sie lieferte ihre außerordentlich minderwertigen Fabrikate ohne jegliche captatio benevolentiae und ließ sich den üblen Shoddy mit Bombenpreisen bezahlen.

Was die Fabrikanten nicht zustande brachten, das besorgten die Spekulanten, die sich wie ein Schwarm von Schmeißfliegen auf die Warenvorräte warfen, diese aufkauften, einlagerten und dann mit enormem Nutzen unter die Leute brachten. Bei diesem Bacchanal der bourgeoisen Marodeure wurden ungezählte Millionen verdient, die zum Teil in Häusern und anderen Liegenschaften festgelegt, zum Teil aber zu weiteren Spekulationen verwendet wurden. Der russische „Kupez“, der von je eine besondere Neigung für menschlich wohl verständlichen, ethisch und volkswirtschaftlich aber keineswegs zu entschuldigenden, leichten Verdienst gehabt hat, zeigte sich in dieser für das Land so enorm schweren Zeit von seiner unvorteilhaftesten Seite. Er konnte seinen Instinkten die Zügel schießen lassen, denn die Regierung, die ihm wohl einen tüchtigen Dämpfer hätte aufsetzen können, verlor, wie immer in schwierigen Situationen, den Kopf und mußte die Dinge gehen lassen, wie sie eben gehen mochten. Es kann freilich nicht verschwiegen werden, daß die enorme Verteuerung der Waren zum Teil durch den gewaltigen, nichts weniger als rationell organisierten Bedarf der Armee, zum Teil aber auch durch die sich bald einstellenden Transportschwierigkeiten verursacht wurde; nicht wenig trugen hierzu ferner die mißglückten Experimente der zarischen Regierung bei, die glaubte, den

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Oskar Grosberg: Russische Schattenbilder aus Krieg und Revolution. C. F. Amelang, Leipzig 1918, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/46&oldid=- (Version vom 1.8.2018)