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600 und gar 1000 Prozent, wobei gleichzeitig die Qualität sich immer mehr verschlechterte. Den Höhepunkt erreichte aber die Aufwärtsbewegung der Preise, als nach der Revolution die Arbeiterschaft selbstherrlich die Löhne bis zur Höhe von Ministergagen hinaufschraubte, und dadurch das vollendete und überbot, was die von ihr so verhaßte „Bourgeoisie“ begonnen hatte.

Wenn man sich mit der Verteuerung von Fabrikaten wohl oder übel abfinden und sie als eines der unvermeidlichen Opfer, die der Krieg von uns verlangte, hinnehmen mußte, so war man jedoch nicht wenig erstaunt, als der steigenden Preisbewegung schließlich auch die Lebensmittel zu folgen begannen. Zuerst ging dieser unliebsame Prozeß allmählich vor sich, dann aber nahm die Steigerung ein immer schnelleres Tempo an, und schließlich erreichte die Preisbildung für Nahrungsmittel dieselbe schwindelnde Höhe, zu der die Fabrikate schon längst gediehen waren. Auch hier versuchte die Regierung einzugreifen, doch erlitten ihre Bemühungen genau dasselbe klägliche Fiasko, das sie bei den Versuchen zur Beeinflussung der Preise für Fabrikate hatte erfahren müssen. Natürlich hatte auch hier die Spekulation ihre unsauberen Finger im Spiele, natürlich spielten auch hier die Transportschwierigkeiten und die hieraus erwachsenden hohen „Spesen“ eine verhängnisvolle Rolle.

Die Fabriken zahlten den Arbeitern so hohe Löhne, daß es für den Bauern keinen Sinn hatte, in schwerer Arbeit der kargen Scholle den Unterhalt abzuringen, während man in den Fabriken oder bei sonstigen, insbesondere aber staatlichen Arbeiten, spielend 10, 15, 30, 50 und mehr Rubel täglich verdienen konnte. Es fand also eine Landflucht in größtem Maßstabe statt. Die Bauern, die ihrem Gewerbe treu blieben, konnten sich natürlich der allgemeinen Warenteuerung nicht entziehen, — was sie brauchten, mußten sie mit schwerem Gelde bezahlen, zudem hatten sie es nur zu bald heraus, daß der Städter, wenn er nicht verhungern

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Oskar Grosberg: Russische Schattenbilder aus Krieg und Revolution. C. F. Amelang, Leipzig 1918, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/49&oldid=- (Version vom 1.8.2018)