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lernen ja klagen, ohne zu leiden, das erfordert nun einmal, sozusagen, der Anstand, aber man hatte doch täglich, wenn auch nicht das berühmte Huhn Heinrichs IV., so doch ein anständiges Stück Rindfleisch im Topfe und sein Schnäpschen nebst nachfolgendem Bier oder Wein, je nach Geschmack und Gewöhnung, gehabt.

Wenn man bei uns zu Lande nichts anderes gehabt hatte, so war man doch immer satt gewesen, und nun hieß es mit einem Mal, daß Schmalhans Küchenmeister werden sollte oder vielmehr bereits geworden war, ehe man sich dessen versehen hatte!

Von unserem Tische verschwanden eines nach dem andern die guten Dinge, die selbst dem bescheidener situierten Bürgersmanne zugänglich gewesen waren, wie etwa das saftige Roastbeef, der sonntägliche Schweine- bzw. Kalbsbraten, die Butter, die Fische, das Geflügel und Wild, vor allen Dingen aber die kleinen und pikanten hors d’oeuvres, die Pastetchen und Piroggchen, die gesalzenen, verzuckerten, gepfefferten und gesäuerten Kinkerlitzchen, an deren Stelle neben den ehrlichen und bekömmlichen Grützen allerlei Fettsurrogate, wie Pflanzenöle, Pferdetalg und horribile dictu, auch das Pferdefleisch trat, das sich bald Bahn brach und entweder offen oder in verschämter Verhüllung in unsere Mägen courbettierte.

Wer vermochte es, sich noch ein Stück Käse, eine ordentliche Rauchwurst, einen Schinken, einen Gänsebraten oder einen geräucherten Lachs zu leisten? Einen Zehner frischer Eier, einen Apfel, ein Gericht Pilze, ein Pfund Butter oder einen Hasenbraten zu erschwingen? Unsere Tafel wurde ganz infam mager und schütter, und man sah sich gezwungen, die Qualität durch die Quantität zu ersetzen und seinen Gaumen mit aller Energie zur Ruhe zu verweisen. Man mußte nolens volens auf die landesübliche Geselligkeit mit der den Mittelpunkt derselben bildenden obligaten Abfütterung auf breitester Basis, verzichten. Herrgott, worauf

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Oskar Grosberg: Russische Schattenbilder aus Krieg und Revolution. C. F. Amelang, Leipzig 1918, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/52&oldid=- (Version vom 1.8.2018)