Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/56

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

durch knappe Rationen scheußlich gebackenen Roggenbrotes ersetzt, und man mußte froh sein, daß man diese Atzung, die man früher kaum seinem Hunde vorgesetzt hätte, weil man eben besseres gehabt hatte, nach stundenlangem Harren vor den Brotläden nach Hause tragen durfte. Es verschwanden Fleisch und Butter, deren Preise zu einer Höhe gediehen, die nur noch von Millionären und Kassendefraudanten erklommen werden konnte. Es verschwanden Fische, Eier, Käse und Milch. Alle diese Produkte verschwanden, und sie tauchten wieder auf, nachdem sie eine immer wieder erneute Preishäutung durchgemacht hatten. Währenddessen las man in den Leitungen fortwährend von Riesenvorräten, die da und dort verfault waren, weil es an Arbeitshänden gemangelt hatte, weil man keine Tonnen hatte, weil gestreikt worden war, oder weil die Eisenbahnen immer wieder versagten.

Man lebte schließlich in einem Lande, in dem alles vorhanden war, während man gleichzeitig nichts hatte. Unter diesen Umständen ist es begreiflich, daß wir bald alle Breitwürfigkeit aufgeben und zuschauen mußten, wie wir uns durch das feindliche Leben schlagen mochten. Das fiel uns höllisch schwer, soweit es sich nicht um Leute handelte, die sich ererbten oder mehr oder weniger wohl erworbenen Besitzes erfreuen durften.

Infolge der kärglichen Nahrung, die vielfach den Charakter des Halbhungers annahm, wurden die Taillen der Leute, die Cäsar gern um sich gehabt hätte, schlank, wie die Kerzen. Leute, die alljährlich nach Karlsbad gepilgert waren mit dem Stoßseufzerlein auf der Lippe: o, schmölze doch dies allzu feste Fleisch! sahen sich der Mühe enthoben, die überschüssigen Fettpolsterungen mit heilsamen Wässern gewaltsam zu entfernen, — sie schwanden wie die Höcker der Schiffe der Wüste nach langer Wanderung, und die Schneider hatten alle Hände voll zu tun, die Bein- und sonstigen Gehäuse der zunehmenden Verdürrung anzupassen.

Empfohlene Zitierweise:
Oskar Grosberg: Russische Schattenbilder aus Krieg und Revolution. C. F. Amelang, Leipzig 1918, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/56&oldid=- (Version vom 1.8.2018)