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Vaterlandsverteidiger, der das gute Kölnische Wasser zu innerlichen Einreibungen benutzt, und man konstatiert mit Staunen, daß eine Abreibung mit kaltem Wasser genau dieselben Dienste tut.

Und so ist es uns mit unzähligen anderen Dingen gegangen, die uns so wertvoll, so unumgänglich geschienen, und über die wir dennoch hinübergekommen sind, ohne sonderlichen Schaden an Leib oder Seele zu nehmen.

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, daß die erschreckende Verelendung des Mittelstandes ganz gewiß nicht den Umfang erreicht hätte, zu dem sie tatsächlich gediehen ist, wenn die Prinzipale vieler Angestellten ein Einsehen gehabt und ihre Leute besser, d. h. den Kriegsläuften entsprechend, entlohnt hätten. Natürlich waren viele Geschäfte nicht in der Lage, ihre Angestellten wesentlich oder auch nur unwesentlich aufzubessern, da sie selbst schwer mit der Ungunst der Zeiten zu kämpfen hatten, aber sehr viele, namentlich kleinere Betriebe, die trotzdem oder gerade deshalb, vortreffliche Umsätze erzielten, hielten es wohl für nötig, über die schwere Not der Zeiten zu klagen, womöglich die Gehälter gleich bei Kriegsausbruch zu kürzen, aber in Aufbesserungen ihres Personals nur dann zu willigen, wenn ihnen das Messer sozusagen an die Kehle gesetzt wurde. Das ist aber seitens der Vertreter des gebildeten Mittelstandes nur selten getan worden, und man konnte vielfach den absonderlichen Zustand erleben, daß in einem und demselben Betriebe die organisierten einfachen Arbeiter weit besser bezahlt wurden, als gebildete Bureaubeamte.

Unter solchen Umständen mußte der Mittelstand sich eben bescheiden und seine Bedürfnisse über die Linie des Äußersten hinaus einschränken. Leider beschränkten sich diese Kürzungen des Lebenszuschnittes nicht nur auf die Entbehrung von Dienstboten, auf die weitestgehende Vereinfachung von Kleidung und Nahrung usw., sondern vielfach auch auf kulturelle Bedürfnisse. Wieviele Familien haben auf den

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Oskar Grosberg: Russische Schattenbilder aus Krieg und Revolution. C. F. Amelang, Leipzig 1918, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/61&oldid=- (Version vom 1.8.2018)