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Das revolutionäre Petersburg

In der Erinnerung der meisten Leser wird sich die gewesene Residenz an der Newa als eine etwas kalte, hochherrschaftliche und in einzelnen Partien hoheitsvolle Stadt erhalten haben, als die Stadt der prunkvollen Paläste, der gewaltigen Regierungsgebäude, des wunderbaren Holzpflasters, der geschwinden Iswoschtschiks und des ewig entweder frühstückenden oder am Kai und über den Newski flanierenden eleganten Publikums. Das arbeitende, schwer arbeitende, blutarme, verkommene und verlotterte Petersburg, das den kleinen glänzenden Kern wie eine aufgeschwemmte faule Schale umgibt, sieht der Fremde nur durch Zufall, und auch der Einheimische gelangt dorthin nur äußerst selten. Man kann sagen, daß die Hauptstadt die Typen aller russischer Städtegrade in sich vereinigt: das Zentrum ist eben die westeuropäisch übertünchte Hauptstadt, die nur nach anhaltendem Regenwetter einen Rückfall in das Asiatische erleidet. Den nächsten konzentrischen Kreis bildet der Typus der entsetzlich langweiligen, aber doch auf eine gewisse äußere Kultur Anspruch machenden russischen Gouvernementsstadt; an diesen Typus schließt sich der ausgedehnte Ring mit dem Charakter der Kreisstadt, die weder Kultur kennt, noch auch auf solche Anspruch erhebt, sondern sich mit aller Unbefangenheit als ein erweitertes, schmutzstarrendes Dorf gibt. Die äußersten Ausläufer der Hauptstadt tragen bereits den ausgeprägten Dorfcharakter. Sieben Werst vom Winterpalais kann man bereits ungepflasterte Straßen finden, die im

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Oskar Grosberg: Russische Schattenbilder aus Krieg und Revolution. C. F. Amelang, Leipzig 1918, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/64&oldid=- (Version vom 1.8.2018)