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Rußland nicht mehr, an ihre Stelle ist die Volksmiliz getreten, die so enorme Gagen bezieht, daß sie keinerlei Pflichten auszuüben braucht; ihre Vertreter führen allenfalls, um in der Übung zu bleiben, hin und wieder einen besonders vorteilhaften Einbruch oder eine ausgiebige Haussuchung aus. Im übrigen wird das lediglich als Sport geübt, denn die Herren sind so glänzend gestellt, daß sie es wirklich nicht nötig haben. Man bedenke nur, daß zum Unterhalt der Polizei früher aus dem städtischen Säckel jährlich nur 300 000 Rubel hergegeben werden mußten, was sonst noch fehlte, verschafften sich die Polizisten in der in Rußland üblichen Weise — 1917 erforderte aber der Unterhalt der Volksmiliz die Lappalie von 17 Millionen Rubel. Was Wunder, daß die Stadt Petersburg das Jahr mit einem Unterschuß von runden 100 Millionen abschließen mußte!

Die Hausknechte haben keinerlei Veranlassung, ihren Funktionen nachzugehen, denn auch sie haben sich Ministergehälter gesichert, und es ist fraglos bei weitem vorteilhafter, Bestechungsgelder von Wohnungsuchenden entgegenzunehmen, als sich etwa mit dem Kehren der Straßen, das der Würde eines freien Bürgers wenig entspricht, zu befassen.

Der Newski und seine Leidensgenossen, will sagen, die anderen zentralen Straßen, sind daher sich selbst überlassen; das glänzende Publikum von einst ist natürlich verschwunden, denn man flaniert weder zu Fuß noch im Wagen; das eine wie das andere könnte dem souveränen Volke mißfallen, und es würde unbedingt gegen derartige bourgeoise Gepflogenheiten auftreten. Hier gibt es nun unbegrenzte Möglichkeiten, die sich zwischen dem Eintreiben eines Zylinderhutes und einem Raubmord abspielen können, es kommt ganz darauf an, inwieweit ein Bourgeois den gerechten Zorn des Volkes durch Aussehen oder Gebaren gereizt hat. Diesen Möglichkeiten will sich natürlich niemand aussetzen, und man befleißigt sich daher in Worten und Werken einer ausgeprägt demokratischen Schlichtheit, die

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Oskar Grosberg: Russische Schattenbilder aus Krieg und Revolution. C. F. Amelang, Leipzig 1918, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/68&oldid=- (Version vom 1.8.2018)