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Diese Schwäche des russischen Volkes ist von der Regierung des Landes von jeher zur Füllung des Staatssäckels ausgenutzt worden, indem der Fiskus sowohl die Herstellung, als auch den Verbrauch von Alkohol mit hohen Steuern belegte. Die letzten Konsequenzen aus der russischen Trinkfreudigkeit zog der damalige Finanzminister S. J. Witte, indem er den gesamten Branntweinhandel in ein staatliches Monopol umwandelte, mit dessen Hilfe er jährlich etwa drei Milliarden Rubel in den stets dünnen Staatssäckel pumpte.

Gegen das von Witte geschaffene Monopol ist nicht wenig gewettert worden; in der Tat ist es kaum mit der Moral in Einklang zu bringen, daß der Staat aus einem bösen Laster seiner Untertanen riesige Einkünfte bezieht und diese Einkünfte zu steigern trachten muß. Freilich hatte der schlaue Witte sich ein sittliches Hintertürchen offen gelassen, durch das er immer, wenn man ihn und sein Monopol an die Wand zu drücken trachtete, entschlüpfte. „Ja, meine Herren,“ pflegte Witte in solchen Fällen mit dem ihm eigenen Brustton der Überzeugung zu sagen, „das Monopol ist nur eine Zwischenstation zur völligen Abstinenz, — dank dem Monopol hat der Staat den gesamten Branntweinbetrieb in der Hand und er kann daher in jedem Augenblick den Konsum regulieren oder, wenn er es für nötig halten wird, unterbinden.“

Ob Witte wirklich selbst daran geglaubt hat, daß der Staat je von dieser Möglichkeit Gebrauch machen würde, darf billig bezweifelt werden, aber recht behalten hat er doch, denn dieser Moment traf wirklich ein, — freilich war er nicht von staatlich-sittlichen Erwägungen eingegeben, sondern er ergab sich aus dem Zwange der Umstände: gleich nach der Bekanntgabe der Mobilisation wurden die staatlichen Branntweinquellen verstopft, und zwar, wie es anfänglich hieß, nur zeitweilig.

Die Notwendigkeit des Verbots mußte jedem, der da weiß, daß der Russe sich auch aus „Trauer“ zu betrinken pflegt,

Empfohlene Zitierweise:
Oskar Grosberg: Russische Schattenbilder aus Krieg und Revolution. C. F. Amelang, Leipzig 1918, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/76&oldid=- (Version vom 1.8.2018)