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ereilen. Man hatte nämlich konstatieren müssen, daß die Betrunkenheit in den Städten und auf dem flachen Lande sich trotz des Branntweinverbotes nicht vermindert hatte, sondern eher im Zunehmen begriffen war. Offenbar ersetzten die Leute die fehlenden Stärkegrade durch ein größeres Quantum des Getränkes.

Dem sei nun, wie es wolle, fest steht jedenfalls, daß Regierungskreise bald auch den Biergenuß für schädlich befanden; vielleicht kam diese Erkenntnis weniger aus den Quellen der tatsächlichen Sachlage, als daß sie auf den Wunsch des Kaisers Nikolai, die Trunksucht mit Stumpf und Stiel auszurotten, zurückzuführen ist.

Also auch das Bier verschwand von der Bildfläche, und Rußland verwandelte sich plötzlich in ein Weinland. Nun muß man aber wissen, daß man in Rußland im allgemeinen nur Sekt und die schweren Portweine und Madeira goutiert; Rhein- und Moselweine findet man „zu schwach“, da es jedoch Gelegenheiten gibt, bei denen man diese Weine trinken muß, — man würde sonst in den Ruf der Barbarei geraten, so präpariert man Rheinwein bis zu 20 Grad Alkoholgehalt, und in dieser Verfassung mag[WS 1] er denn zwischendurch hingehen.

Wein gab es in Hülle und Fülle und in allen Preislagen. Das war immerhin tröstlich, um so tröstlicher, als man glaubte annehmen zu dürfen, daß man dem Weine nicht zu Leibe rücken würde, denn einerseits befanden sich die größten Kellereien im Besitz einflußreicher Hofaristokraten und Großfürsten, andererseits war es aber offenes Geheimnis, daß das Apanagendepartement, aus dem die Großfürstlichkeiten ihre Einkünfte bezogen, gerade die allergrößten Kellereien besaß. Man kalkulierte also, daß die Herrschaften, ganz abgesehen davon, daß sie einem guten Tropfen nie abgeneigt gewesen waren, sich nicht ins eigene Fleisch schneiden würden.

Doch man hatte sich auch in dieser Beziehung getäuscht,

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  1. Vorlage: mang
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Oskar Grosberg: Russische Schattenbilder aus Krieg und Revolution. C. F. Amelang, Leipzig 1918, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/79&oldid=- (Version vom 1.8.2018)