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nicht, denn sie erkannten nur zu bald, daß sich hier für sie eine neue und ungemein ergiebige Einnahmequelle erschlossen hatte. Die Polizei ist in Rußland eben nie darauf bedacht gewesen, Unordnung und Verstöße auszurotten, sondern ihr Bestreben ist immer darauf gerichtet gewesen, diese nur so weit zu verfolgen, als sie sich hierbei bereichern konnte. Sie hat denn auch die sich bietende Gelegenheit nach Kräften ausgenutzt und die Geheimbrennereien mit ganz bestimmten Steuern zu ihren Gunsten belegt. Es ist daher klar, daß alles Wettern gegen die neue Gefahr, die dem Volke drohte, vergeblich sein mußte, denn das Volk selbst war nicht imstande, zu beurteilen, was ihm drohte, während andererseits keine amtliche Stelle vorhanden war, die dem Treiben der Geheimbrennereien und -brauereien ein Ende hätte machen können.

Wenn der während des Krieges materiell am schwersten in Mitleidenschaft gezogene Mittelstand es doch fertig bekommen hat, zu besonderen Gelegenheiten Portwein zu 75 Rubel pro Flasche anschaffen zu können, wenn man in den großen Restaurants Petersburgs während der ganzen Dauer des Krieges Sekt, freilich zu märchenhaften Preisen, schlemmen konnte, so legte auch der Arbeitsmann am Sonnabend gern 15 und mehr Rubel für ein Fläschlein veredelten Denaturats oder Selbstbrand an.

Der Hausbrand blühte. Man fabrizierte nicht nur Spiritus, sondern auch Wein und Bier, und zwar aus den verschiedenartigsten Materialien und nach verschiedenen Methoden. Man hatte da beispielsweise ganz einfache Apparate, mit deren Hilfe man einen sehr brauchbaren Spiritus erbrannte; man fabrizierte aus Rosinen, Zucker und etwas Hefe einen ganz passablen Wein und man erzeugte aus Malzextrakt und Hopfen ein sehr süffiges Bier. Kurzum, die häusliche Gärungsindustrie gelangte zu ungeahnter Blüte.

Der größte Umsatz wurde aber doch in den Präparaten aus vergälltem Spiritus erzielt, denn er bildete für den

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Oskar Grosberg: Russische Schattenbilder aus Krieg und Revolution. C. F. Amelang, Leipzig 1918, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/82&oldid=- (Version vom 1.8.2018)