Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/86

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Lagerfässern standen und tranken. Man benutzte Feldkessel, Mützen, Kannen und die hohle Hand als Trinkgefäße, oder man trank direkt aus einem Fasse, dessen Boden man eingeschlagen hatte. Das Gelände der Brauerei war besät mit Glassplittern, Holztrümmern und betrunkenen Menschen. Der Bierdampf hing über der ganzen Umgegend, und wenn man in den Wirbel der abströmenden Soldaten geriet, dann konnte man meinen, daß man sich im Münchner Hofbräu befände, — so stark rochen die Leute nach dem im Übermaß genossenen Bier.

Das Gelage drohte sich zu einer Katastrophe zuzuspitzen, denn es zogen nicht nur Tausende von Soldaten der in der Stadt stehenden Truppen zu der Bierbrauerei hinaus, sondern die Kunde war bis in die Laufgräben gedrungen, und nun waren auch die dort befindlichen Soldaten nicht mehr zu halten, — sie strömten in hellen Scharen herbei und tranken, bis sie zusammenbrachen. Welche Szenen sich dort abspielten, mag ich nicht weiter schildern, es sei nur gesagt, daß man den Eindruck erhielt, daß die ungeheure Menschenmenge, die sich auf dem ausgedehnten Gelände der Brauerei johlend oder stumpfsinnig betrunken umherschob, durch keine Gewalt der Erde von ihrem Tun abgehalten werden konnte.

In der Tat war hier guter Rat teuer, denn wenn die Leute sich noch weiter betranken, dann konnte man sicher sein, daß sie ganz unberechenbare Ausschreitungen begehen würden. Das Generalkommando der XII. Armee mußte zugeben, daß es in diesem Falle vollständig ohnmächtig war, denn kein Offizier hätte es gewagt, sich dorthin zu begeben, wo die Soldaten zechten, um den Versuch zu machen, die Leute zur Vernunft zu bringen, er wäre in Fetzen zerrissen worden. Von der Anwendung von Gewalt mußte gleichfalls abgesehen werden, denn man hatte eben die Freiheit und Gleichberechtigung aller Staatsbürger aus der Taufe gehoben, und nun sollten Staatsbürger, die sich einen lustigen Tag bereitet hatten, mit Gewalt daran verhindert werden?

Empfohlene Zitierweise:
Oskar Grosberg: Russische Schattenbilder aus Krieg und Revolution. C. F. Amelang, Leipzig 1918, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/86&oldid=- (Version vom 1.8.2018)