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nichts weniger als sympathisch sein konnten, anzupassen. Und man muß sagen, daß sie die Anpassungspolitik mit viel Schmiegsamkeit und Geschick durchführten.

Freilich vermochten nicht alle ihre Überzeugungen und Anschauungen so fabelhaft rasch gegen die nötige demokratische Gesinnung umzutauschen. Zur Ehre des Generals Beljajew sowie seines getreuen Schildknappen Felitschkin sei gesagt, daß beide zu diesen ganz wenigen gehörten und von der Bildfläche verschwanden. Sie mußten für einige Zeit in sicheres Gewahrsam gebracht werden, da man anderenfalls gegen sie gerichtete Ausschreitungen zu befürchten gehabt hätte.

Das auf den hochherrschaftlichen Ton gestimmte Leben des Hauptquartiers der XII. Armee veränderte sich in wenigen Tagen bis zur Unkenntlichkeit. Es schien, als ob das bisher so geräuschvoll pulsierende Leben erstorben sei, man sah auf den Straßen weder Offiziere, noch Militärbeamte oder die „Landschaftshusaren“, dafür aber um so mehr Soldaten, die sich der jungen Freiheit erfreuten und von ihr in ihrer Art Gebrauch machten. Wer konnte das souveräne Volk und die große revolutionäre Armee daran hindern? Etwa die Offiziere, die sich nicht zeigen mochten, um unangenehmen, zuweilen tragisch endenden Zusammenstößen zu entgehen, oder die Polizei, die ja nicht mehr bestand, — man hatte sie sofort abgeschafft und an ihre Stelle die Volksmiliz gesetzt. Nichts konnte weder Volk noch Armee behindern, und so tagten denn in den ersten Revolutionswochen Tag und Nacht an hundert Orten zu gleicher Zeit die Soldaten- und Volksmeetings, auf denen man an der Errichtung des Zukunftsstaates arbeitete, indem man Rede auf Rede losschoß, aber leider nie ins Ziel traf.

Das war nun freilich schwer, denn wem sollte man eigentlich glauben? Irgendwelche Aufklärungen oder Hinweise gab es in der ersten Zeit noch nicht, auch die revolutionäre Presse war noch nicht ins Leben getreten. Man

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Oskar Grosberg: Russische Schattenbilder aus Krieg und Revolution. C. F. Amelang, Leipzig 1918, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/98&oldid=- (Version vom 1.8.2018)