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     BESCHEIDENHEIT

Es steht eine Lind’ auf grünem Rain,
Da fliegen hundert Vögelein
 Wohl aus und ein:
Die wollen nichts als singen.

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Sie singen, wenn der Tag erwacht,

Sie singen in der finster’n Nacht;
     Ich hört’ es lustig klingen,
 Ja klingen!

Und unter der Lind’ auf grünem Rain,

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Da saß ein blutjung’s Mädel fein

 So ganz allein:
     Die wollte nichts als weinen.
Ach, Vöglein hat wohl seinen Schatz –
Doch auf des Kirchhofs grünstem Platz

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     Begrub man heut’ den meinen,

 Ja meinen!

Und von der Lind’ auf grünem Rain
Zum Kirchhof ging das Mädel fein
 Im Abendschein:

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     Sie wollte nichts als sterben.

Sie legte sich ins grüne Gras,
Bis sie vom Leben ganz genas.
     So geht das Glück in Scherben,
 Ja Scherben!

nach August Becker

Empfohlene Zitierweise:
Hanns von Gumppenberg: Das teutsche Dichterroß. Callwey Verlag, München 1929, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gumppenberg_Dichterross_0040.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)